Die Beschlagnahme von Feindpatenten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg Wurden nach dem Zweiten Weltkrieg alle deutschen Patente für nichtig erklärt? Gibt es eine Zusammenstellung der vereinnahmten Patente? Darauf will diese Seite einige Antworten versuchen. Ein Patent ist nur im Geltungsbereich des jeweiligen Patentgesetzes wirksam. Firmen melden deshalb im Ausland Patente an, um ihre Erfindungen auch dort vor unerlaubter Nachahmung zu schützen. Im Jahr 1938 waren laut Statistik im "Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen" 14,2 % der Anmeldungen beim Reichspatentamt aus dem Ausland. (1) Davon die meisten aus den USA.
Deutsche meldeten auch Patente im Ausland an, in den Statistiken wird zwischen angemeldeten (GB) und erteilten (USA) Patenten unterschieden (2):
Mit dem Polenfeldzug löste das Deutsche Reich
am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg aus,
Großbritannien und Frankreich erklärten zwei Tage
später Deutschland den Krieg. Auf Grundlage des "Patents, Designs,
Copyright and Trade Marks (Emergency) Act, 1939"
vom 21. Sept. 1939 machten die Briten, wie schon im
Ersten Weltkrieg, den Anfang mit der Beschlagnahme von
Feindpatenten. (4) Das
"Official Journal (Patents)" vom 25. Oktober
1939 vermerkt die ersten Gesuche auf Lizenzen für
englische Patente, die Deutschen gehörten. Hier als PDF. Kanada (27. Okt. 1939), Australien
(15. Dez. 1939), die Südafrikanische Union
(15. Febr. 1940) und Indien (17. Febr.
1940) ermöglichten mit ähnlichen Verordnungen wie dem
britischen Patents, Designs, Copyright and Trade Marks
(Emergency) Act die Nutzung deutscher Patente. Worauf
Deutschland wieder "im Wege der Vergeltung"
Verordnungen über gewerbliche Schutzrechte kanadischer
Staatsangehöriger (11.07.1940), Angehöriger der
südafrikanischen Union (17.07.1940) und für Australier
(10.08.1940) erließ. (6) Es gibt einen einzigen Antrag im Patentblatt vom 29.
Mai 1941 auf Erteilung der Ausübungsrechte an einem polnischen
Patent, Nr. 14771, Inhaber die Tootal Broadhurst Lee Co.
Ltd., Manchester, damals eine bedeutende Textilfabrik.
Antagsteller: Die I.G. Farbenindustrie Akt.-Ges.,
Frankfurt a. M. |
Deutschland
und Italien erklärten den USA am 11. Dezember 1941 den
Krieg. "Zur Vergeltung" für die in den USA
gegen Patente deutscher Staatsangehöriger getroffenen
Maßnahmen erließ das Reichsjustizministerium im
Dezember 1942 eine Verordnung. Sie glich
sinngemäß der weiter oben erwähnten Verordnung über
die gewerblichen Schutzrechte britischer Staatsbürger.(10) Nur wenige deutsche Firmen,
die damals Anträge auf Ausübungsrechte stellten, kennt
man heute vielleicht noch: Im Gegensatz zum deutschen Patentblatt sind im
britischen Official Journal auch die
genehmigten Anträge, "Licenses granted",
mitgeteilt: Feindpatente beschlagnahmen? Yes, we can Wer Science Fiction Filme mag, denkt bei
Alien gleich an Außerirdische. Im Englischen hat der
Begriff aber auch die Bedeutung "Ausländer".
In den USA gab es das "Office of the Alien
Property Custodian", es wurde 1917 im
Zusammenhang mit dem "Trading with the Enemy
Act" gegründet. Alien Property Custodian, APC,
lässt sich etwa mit "Treuhänder für
ausländisches Eigentum" übersetzen. Das Office of the Alien Property
Custodian konnte in den USA Eigentum beschlagnahmen, das
Angehörigen von Feindstaaten gehörte. Die erste
Beschlagnahmeverfügung, Vesting
Order No.1 vom 25. März 1942 galt dem US Besitz der
I.G. Farbenindustrie. "Interest of IGF in
certain contracts, and agreements, and in the capital
stock, patents,
contracts and other rights in and of Standard Catalytic
Co. and Jasco Inc.; all patents
and patent applications
held by or in the name of Standard I.G. Co., Standard
Catalytic Co., Jasco Inc., and W.E. Currie." Insgesamt wurden vom APC von 1942
bis 1952 die Rechte an ca. 46.000 US Patenten und
Patentanmeldungen übernommen. Wo ist der Rest? Die Verordnungen erlaubten erlaubten auch die Beschlagnahme von US Patenten und Patentanmeldungen, deren Inhaber keine Deutschen oder Japaner waren, deren Heimatland aber von deutschen oder japanischen Truppen besetzt war. Davon betroffen waren beispielsweise Niederländer (1415 Stück), Polen (120) oder Norweger mit 674 US Patenten und Anmeldungen. Die meisten vom APC beschlagnahmenten US
Patente, die weder Deutschen noch Japanern gehörten
waren, stammten von Franzosen. Die vom APC erlassenen Beschlagnahmeverfügungen (vesting orders) wurden im "Federal Register" bekanntgemacht. Bei Patenten auch in der "Official Gazette of the US Patent Office". Hier ein Beispiel als PDF. Darin die Titelseite vom 1. Juni 1943 und die Seiten mit APC applications. (Unter Class 102, 164 und 166 finden sich die oben erwähnten Patentanmeldungen von Marcel Schlumberger. Und unten auf der letzten Seite eine Anmeldung von Walther Bauersfeld, der bei Zeiss in Jena das erste Planetarium konstruierte.) Eine Bemerkung zu den
Patent Applications, den Patentanmeldungen. Im Gegensatz
etwa zu Deutschland wurden in den USA nur erteilte
Patente der Öffentlichkeit bekanntgemacht, aber keine
Patentanmeldungen. (Erst durch eine Gesetzesreform unter
Präsident Clinton werden die seit dem 29.11.2000
eingereichten Anmeldungen, von Ausnahmen abgesehen,
veröffentlicht.) Gegen eine einmalige
Gebühr von 50 US $ für das erste und 5 US $ für jedes
weitere beschlagnahmte Patent wurden Lizenzen ausgegeben.
Ab August 1943 wurden eine Flatrate von 15 US $ pro
Patent eingeführt.(13) |
Nach 1945: Der Zweite Weltkrieg endete für
Deutschland am 8. Mai 1945, in Japan erst am 2.
September. Zum Jahresende 1945 waren vom Alien
Property Custodian Lizenzen für 9393
Patente und Patentanmeldungen aus Feindstaaten vergeben
und für 11 Patente mit nichtfeindlichen
Staatsangehörigen als Besitzer. (16) FIAT ist der größte italienische Autohersteller. Es ist aber auch die Abkürzung für "Field Information Agency Technical". Aufgabe dieser ca. 1000 Mann starken Einheit der US Army war die Erfassung und Dokumentation der deutschen Technik und Forschung. Grundlage war eine Anordnung von Präsident Truman vom 25. August 1945, die Executive Order 9604 : "Es ist die Ansicht dieser Regierung, dass feindliche wissenschaftliche und industrielle Informationen schnell, öffentlich, frei und allgemein verbreitet werden sollen." (18) Die FIAT durchstöberte deshalb bis 1947 deutsche Industriebetriebe, die Ergebnisse dieser Bemühungen sind als "Fiat Berichte" veröffentlicht. (19) Nicht zu verwechseln mit den "FIAT
Berichten" sind die "FIAT Filme". Aber der
Reihe nach: Berlin wurde in Sektoren aufgeteilt,
Kreuzberg, die Gitschiner Strasse und damit das Patentamt
lagen im amerikanischen Sektor. Ab 1946 begann FIAT
146.000 Akten von Patentanmeldungen und nicht mehr gedruckte Patentschriften auf Mikrofilm
aufzunehmen, die "FIAT-Filme". (21) Die anderen drei
Siegermächte bekamen Kopien. (Eine Filmkopie befindet
sich jetzt im Technischen Informationszentrum in Berlin,
Gitschinerstr. Viele der verfilmten Akten sind jetzt auch
in den Patentdatenbanken, wie etwa
hier
in "espacenet"). Auszüge aus den 146.000 Akten erschienen
1948-1949 unter dem Titel "Auszüge deutscher Patentanmeldungen".(22) Das Londoner Abkommen Es stimmt nicht, dass deutsche
Patente nach dem zweiten Weltkrieg für nichtig erklärt
oder beschlagnahmt wurden. Denn deutsche Patente sind in
Deutschland erteilte Patente. Das Patentamt war
geschlossen, es war daher nicht möglich Gebühren zu
entrichten, trotzdem sind die Patente nicht verfallen.
Auf Antrag wurde sogar die Laufzeit bestimmter Patente
verlängert, indem der Zeitraum vom 8. Mai 1945 bis 7.
Mai 1950 nicht auf die Patentdauer angerechnet wurde. (24) Was wurde aus Patenten in deutschem
Besitz in Schweden und der Schweiz? Die beiden Länder
waren im Krieg neutral geblieben und lehnten die im
Kontrollratsgesetz Nr. 5 vorgesehene Enteignung deutschen
Auslandsvermögen ab. Um den Zweck des Gesetztes, die
"Ausschaltung des deutschen Kriegspotentials"
zu verwirklichen wurden Sonderabkommen vereinbart. (28) Wie viel waren die im und nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten deutschen Auslandspatente Wert? Wie berechnet sich ein Wert? Entgangene Lizenzgebühren, Entgangene Exporterlöse? In einer Dissertation wird der Wert der Patente mit 1 bis 1,5 Milliarden DM und der Wert der Auslandswarenzeichen (waren auch beschlagnahmt) mit 3 bis 4,5 Milliarden DM angegeben. In einer Mitteilung des US Justizministeriums wird der Wert der Produktion unter APC Lizenzen auf über 100 Millionen US Dollar geschätzt. (31) Und in einem Artikel des "Spiegel" vom 11. Oktober 1950 ist von 12 Milliarden DM die Rede. (Hübsche Summen, aber Deutschland musste ja unbedingt den Krieg beginnen...) In Frankreich durften
Deutsche ab 1946 wieder ihre Erfindungen zum Patent
anmelden, in den USA war das ab 6.
August 1947 möglich, Public Law 380. Großbritannien
erlaubte Patentanmeldungen ab 8. April 1948 durch Trading
with the enemy order Nr. 725, 726, 727. |
Das Reichsgesetzblatt, Teil I. und II. kann man
bei der österreichischen Nationalbibliothek einsehen. (1) Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 3, 30. März 1939, Seite 34 (Während des Krieges wurden Auslandsanmeldungen nicht mehr in der Statistik veröffentlicht.) (2) Angaben für Großbritannien aus: Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 6, 30. Juni
1938, Seite 147 f (3) Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenrechts. Vom 1. September 1939; in: Patentblatt, 14. September 1939, Seite 1089, 1090. Siehe auch Reichsgesetzblatt, Teil II, 1939, Seite 958,959 (4) Patents-, Designs, Copyright and Trade Marks
(Emergency) Act, 1939. (5) Verordnung über gewerbliche
Schutzrechte britischer Staatsangehöriger, Reichsgesetzblatt, 1940, Teil I, Seite 424, 425.
(6) Blatt für Patent-,
Muster- und Zeichenwesen, 1940, Seite 109, 138 (7) "Bestellung
der einstweiligen Nachfolger der jüdischen
Patentanwälte und der einstweiligen Vertreter der z. Z.
abwesenden Patentanwälte"; "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 7/8, 22.
August 1940, Seite 109, 110 (8) "Anordnung
über gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte der
Staatsangehörigen Großbritanniens und Nordirlands,
Kanadas, der Südafrikanischen Union und
Australiens" vom 16. Oktober 1940; Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 12, 31.
Dezember 1940, Seite 192, 193 9) http://www.uprp.pl/rozne/raport_2006.pdf Seite 13 (10) "Verordnung
über gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte von
Angehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika"
vom 22. Dezember 1942; Reichsgesetzblatt I, 1942, Seite
737 und (11) Michael J. White, US
Alien Property Custodian patent documents: A legacy prior
art collection from World War II- Part 1
History, Part 2. Statiscics, in: World Patent
Information 29 (2007), Seite 339-345 und 30 (2008), Seite
34-42 (12) In Depatisnet, der
Internet Patent Datenbank des DPMA sind nur
Veröffentlichungsnummer und -Datum vorhanden, manchmal
das Anmeldedatum, aber kein Volltext. Um die Datensätze
zu sehen, gehen Sie auf Depatisnet, Recherche,
Experte, und geben diese Suchanfrage ein: (13) John Ernest Roe, "War Measures, the Alien Property Custodian and Patents", Journal of the Patent Office Society, October, 1943, Vol. XXV, No. 10, Seiten 692-728, hier S. 713 ("...a flat charge of $15 for each patent") (14) Dr. W. Mathes, "Das
Raschig-Verfahren zur Herstellung von Phenol",
Angewandte Chemie, 52, Nr. 37, 16.09.1939, Seiten
591,592; (15) Annual
Reports, 1942-1946, Reprint Edition 1977 by Arno Press
Inc. (16) Annual Reports, 1942-1946, Reprint Edition 1977 by Arno Press Inc. (Suchbegriff: 9,393 formerly enemy-owned) (17) Rubrik "Alien Property Custodian" in Journal of the Patent Office Society, June, 1946, Vol. XXVIII, No. 6, Seite 426 (18) Weekly
information bulletin, Number 76, January 1947,Office
of the Assistant Chief of Staff, G-5 Division USFET,
Information Branch, Seite 16,17 (19) Archiv-info,
Deutsches Museum, 5. Jahrgang 2004, Heft Nr. 2, Seite
3. Auch als BIOS-, CIOS- und JIOA-Reports bekannt. (20) 100 Jahre Patentamt in Berlin - Kreuzberg, Hrsg. Deutsches Patent- und Markenamt technisches Informationszentrum Berlin, Berlin 2005, Seite 14 (21) hier ein PDF aus "The Official Journal (Patents)", October 20., 1948, Seite 1322, 1323 (22) Auszüge deutscher Patentanmeldungen, gedruckt 1948-1949 durch den Printing and Stationery Service, Control Commission for Germany, 22 Bände mit ca. 600 bis 1.000 Seiten pro Band:1. Brennkraftmaschinen 2. Elektrotechnik I 3. Elektrotechnik II 4. Elektrotechnik III 5. Elektrotechnik IV 6. Chemie I 7. Chemie II 8. Chemie III 9. Wärmetechnik 10. Instrumente 11. Eisenbahnbetrieb und Bauwesen 12. Holzbearbeitung 13. Textilindustrie 14. Hebezeuge 15. Bergbau 16. Gleislose Fahrzeuge u. Feuerlöschwesen 17. Landwirtschaft 18. Sammelband Beispielseite aus Band 18, er enthält unter anderem die Klasse 74 - Signalwesen 19. Hüttenwesen 20. Blecherzeugung 21. Maschinenelemente 22. Schiffbau, Waffen (23) siehe (20) 100 Jahre Patentamt in Berlin - Kreuzberg, Seite 13 (24) Gesetz über die Verlängerung der Dauer bestimmter Patente, vom 15. Juli 1951, Bundesgesetzblatt I., 1951, Seite 449 (25) "In recognition of this prestigious work, particularly relating to German patents, Harold was knighted in 1946". Siehe hier. (26) Götz Christoph Güttich, Die Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes in Deutschland und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg, Dissertationsschrift, Freie Universität Berlin, Juli 1995, Seite 132 (27) Walter Strauss, "Die Rechtsentwicklung des deutschen gewerblichen Rechtsschutzes nach 1945", Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, 1952, Seite 205-208, Seite 208 (28) Philipp Möhring, "Die Behandlung der Patente und Urheberrechte im Friedensvertrage", Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, (GRUR), Nr. 3, 1948, Seite 127-139, hier Seite 131 (29) "Washingtoner Abkommen über die Liquidation deutscher Vermögenswerte in Schweden vom 18. Juli 1946", Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 2/3, 15. Dezember 1948, Seite 42-43 (30) "Washingtoner
Abkommen über die Liquidation deutschen Eigentums in der
Schweiz vom 25. Mai 1946", Blatt für
Patent-, Muster- und Zeichenwesen, Nr. 2/3, 15. Dezember
1948, Seite 39-41. (31) siehe (26) Götz Christoph Güttich,
Seite 129 und (32) Blatt für Patent-,
Muster- und Zeichenwesen, Nr. 1, 15. Oktober 1948, Seite
17, 18 _________________________________________________________________________________________________________ siehe auch Martin Domke, Deutsche Auslandswerte in den Vereinigten Staaten von Amerika 1945 - 1950, http://www.zaoerv.de/13_1950_51/13_1950_3_a_537_555.pdf |
Text online seit 08.12.2010
Letzte Änderung: 25.07.2015