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PVÜ - Die Pariser Verbandsübereinkunft
Union internationale pour la Protection de la propriété industrielle

Was ist das für eine Übereinkunft, die auf das Jahr 1883 zurückgeht und der heute (2006) 169 Staaten angehören?
Die Aufgabe dieser internationalen Ünion ist der Schutz des gewerblichen Eigentums, dazu werden gezählt die Erfindungspatente, die Gebrauchsmuster, die gewerblichen Muster oder Modelle, die Fabrik- oder Handelsmarken, die Dienstleistungsmarken, die Handelsnamen und die Herkunftsangaben oder Ursprungsbezeichnungen sowie die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs.

Ein Blick zurück in das 19. Jahrhundert:
1851 war nicht nur das Jahr in dem der Roman "Moby Dick" von Herman Melville erschien, es fand auch in London die erste Weltausstellung statt. Vorsitzender des Direktoriums war Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, Gemahl von Victoria, der Königin von Großbritannien und Irland.
Prinzgemahl Albert schlug einen internationalen Kongreß vor, der beraten sollte, wie die Gesetze für das gewerbliche Eigentum der an der Weltausstellung interesierten Staaten gleichförmiger zu gestalten und umfassender wirksam zu machen seien.
Das Direktorium der Weltausstellung konnte sich für die Idee nicht begeistern, es bezeichnete das Vorhaben als unausführbar. (An Victoria und Albert erinnert heute noch das Museum gleichen Namens, welches durch die Weltausstellung finanziert wurde)

"Die Weltausstellungen sind aus verschiedenen Gründen immer Anlass zur Discussion verschiedener bestehender Patentgesetzgebungen gewesen", schreibt Carl Pieper(1) und erwähnt "The Mechanics' magazine". Darin wird im Januar 1863 auf den Einfluß der Austellungen von 1851, 1855 und 1862 auf die Patentgesetzgebungen von England, bzw. Frankreich hingewiesen.
Der Aufsatz im "The Mechanics' magazine" hält eine Internationale Convention für notwendig, ist sich aber auch der Schwierigkeiten bewußt, eine solche einzurichten.(2)

Im September 1871 erschien das Programm und die Einladung für die Weltausstellung in Wien. Es wurde, namentlich von Seiten der Vereinigten Staaten, befürchtet, "dass viele Erfinder, Fabrikanten und Industrielle diese nicht beschicken würden, weil ihre Erfindung nicht so geschützt sei, wie amerikanische Erfinder es beanspruchten" (3) Österreich-Ungarn veröffentlichte deshalb am 28.11.1872 ein Gesetz, welches nicht nur den Schutz der ausgestellten Erfindungen für das ganze Jahr 1873 zusicherte, sondern auch ermöglichte, den Schutz für längere Zeit zu erweitern.
Von verschiedenen Seiten wurde auch der Wunsch geäußert, aus Anlaß der Ausstellung die Frage des internationalen Patentschutzes zur Sprache zu bringen.
Die Wiener Ausstellung wurde am 01. Mai 1873 eröffnet. Vom 04. bis 09. August fand der erste internationale Patentkongreß statt, unter dem Ehrenpräsidium von Wilhelm Schwarz-Senborn, Generaldirektor der Weltausstellung. Vorsitzender des Patentkongreßes war Dr. William Siemens, (bekannt z.B. durch das Siemens-Martin-Verfahren zur Stahlerzeugung von 1864 und auch Vorsitzender der Institution of mechanical Engineers zu London)
Die Teilnehmer, u.a. Carl Pieper, Prof. Klostermann, Regierungsrat Nieberding, Dr. Andre, Dr. Werner Siemens, G. Daimler, kamen aus größeren Ländern wie den USA, Japan oder Brasilien und kleineren Staaten wie Bayern, Baden und Hamburg. (4)
Der Kongreß verabschiedete 3 Resolutionen, wobei die dritte lautete:

"In Anbetracht der großen Ungleichheit der bestehenden Patentgesetzgebungen und in Anbetracht der veränderten internationalen Verkehrsbeziehungen der Jetzzeit liegt das Bedürfnis für Reformen vor, und es ist dringend zu empfehlen, daß die Regierungen sobald wie möglich eine internationale Verständigung über den Patentschutz herbeizuführen suchen"

Bei den erwähnten veränderten internationalen Verkehrsbeziehungen kann man an den Bau des Suezkanals denken, der 1869 vollendet wurde. Im gleichen Jahr wurde in den USA die transkontinentale Eisenbahnverbindung geschaffen. Unterwasserkabel ermöglichten den Telegrahieverkehr zwischen der Alten und der Neuen Welt. (Bei lauter Begeisterung über die technischen Erungenschaften zur Zeit der damaligen Weltausstellungen soll aber auch an die Arbeitsbediengungen jener Zeit erinnert sein. Es gab kein Kranken- oder Unfallversicherungsgesetz, auch Kinderarbeit war noch üblich.)

Dr. Andre, Delegierter des deutsch. Ingenieur-Vereins hatte eine Vision: "...Das Ideal wäre vielleicht eine einzige Patentbehörde für die ganze Welt.."
Auch der Berichterstatter der königlich holländischen Regierung, Prof. Dr. E. H. v. Baumhauer hatte bei den Beratungen kühne Ideen: "...Ich glaube, dass ich nicht Worte genug finden kann, um alle geehrten Herren zu überzeugen, dass nur ein internationales Patentgesetz, eine internationale Jury genügend die Rechte der Erfinder schützen können."
(hier wird ein internationales Patentgesetz ein vorgeschlagen, dabei hatten die Niederlande 4 Jahre vorher, 1869, ihr eigenes Patentgesetz aufgehoben.)
Dr.Werner Siemens dämpfte die Erwartungen:
"...Ich glaube überhaupt, dass es noch lange Zeit nicht möglich sein wird, ein solches internationales Gesetz zu schaffen. Es kann unser Ziel sein, das wir anstreben sollen; aber es so zu fordern, halte ich für bedenklich"

Siemens hielt mehr davon, die Regierungen zu gemeinsamen Konferenzen zu bewegen, ein Vorgehen, dass auch bei der Gründung der Telgraphen-Union Erfolg hatte. (Neben der Genfer Konvention von 1864 "zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der im Felde stehenden Heere”, dürfte die Internationale Telegraphen-Union von 1865 zu den wichtigsten internationalen Übereinkünften jenes Jahrzehntes gehören.)
Ein österreichischer Teilnehmer, Ingenieur Friedmann aus Wien, sprach sich gegen ein internationales Patentgesetz aus, bei dem ein z.B. in den USA erteiltes Patent sofort auch in Österreich Gültigkeit hätte. (5) Er fürchtete Nachteile für Österreich und andere Länder, die nicht über die Geldmittel amerikanischer Unternehmen verfügten. Im Jahr 1870 entfielen 23 % der Weltindustrieproduktion auf die USA und weniger als 4% auf Österreich-Ungarn.(6) Die Bedenken Friedmanns teilte wohl auch seine Regierung. Der, wie er sagte, "umgangene" österreichische Handelsminister lehnte es ab, 14 Delegierte auswärtiger Staaten zu empfangen. Er sah sich außerstande, den gemeinsamen Entschließungen zu folgen.(7)

Den meisten Teilnehmern des Patentkongreßes war klar, dass sich die Begeisterung der Regierungen noch in Grenzen hielt und es noch nicht gleich zum Abschluß internationaler Verträge kommen würde.
Darum wurde in der Schlussresolution die Konstituierung eines ständigen Exekutiv-Komitees festgelegt, "daß die angenommenen Grundsätze bekannt werden und zur praktischen Geltung gelangen" und Zeit und Ort für den nächsten Kongreß zu bestimmen.(8) Zum Generalsekretär wurde Carl Pieper gewählt.
(Beeinflußt durch die Ideen des Kongreßes wurde im deutschen Reich 1874 der Patentschutzverein gegründet, im selben Jahr wurde auch das Markenschutzgesetz erlassen, 1876 das Musterschutzgesetz und 1877 das Patentgesetz.)

1876 übermittelte Carl Pieper den Entwurf eines Programms für einen Kongreß anläßlich der Weltaustellung in Paris 1878 an den französischen Handelsminister. Pieper freute sich: "Wir fanden ...bei der französischen Regierung unausgesetzt ein Entgegenkommen nicht nur, sondern durchdringende Sachkenntnis und Förderung unserer Aufgaben". Auch der österreichische Architekten- und Ingenieur Verein und der niederösterreichische Gewerbeverein unterbreiteten ausführliche Vorschläge für den Pariser Kongreß.

Der Patent Kongreß war einer von mehreren, welche anläßlich der Weltaustellung stattfanden. Die französische Regierung beteiligte sich nicht offiziell daran, übernahm aber das Patronat für diese Konferenzen und Kongreße. (9)
Der Kongreß fand vom 05. bis 17. September 1878 im Palais Trocadero statt. Die meisten der ca. 500 Teilnehmer kamen aus Frankreich, aber auch amtliche Delegierte aus Spanien, USA, Ungarn, Italien, Luxemburg, Norwegen, Rußland, Schweden und der Schweiz waren vertreten. Für Deutschland berichtete Professor Klostermann an das Reichsamt des Innneren, das Kaiserliche Patentamt war durch Professor Reuleaux vertreten. Ehrenpräsidenten waren die Handelsminister aus Frankreich und Österreich, Teisserenc de Bort und Chlumetzky und C. W. Siemens, ehemaliger Präsident des Wiener Patentkongreßes.

Der Kongreß teilte sich in drei Sektionen: für Erfindungspatente, für Muster und Modelle, und für Fabrikmarken (Warenbezeichnungen). In der Eröffnungsrede rief Minister Teisserenc de Bort die Teilnehmer auf: "...Legen sie den Grund für eine internationale Gesetzgebung..." (10).

In der Sitzung vom 06. September brachte der französiche Teilnehmer Clunet, damals Advokat beim Appellationsgericht in Paris, den Vorschlag ein, "Die Ausländer müssen den Inländern gleichgestellt sein". Der Delegierte der Schweiz, Irner-Schneider, forderte im Namen seiner Regierung in dieser Frage das Prinzip der Reziprozität. (Darunter versteht man die Gegenseitigkeit nur bei entsprechender Handhabung seitens des fremden Staates.) Die Schweizer Position wurde auch vom französischen Juristen Lyon-Caen unterstützt.
Clunet bestand aber auf der Beseitigung der Reziprozitätsfrage, er forderte, "der Vorteil der einheimischen Gesetze soll den Auswärtigen bedingungslos gesichert werden, so verlangt es das höhere Interesse der Gerechtigkeit und der Moral". Sein Vorschlag wurde von Konsul Leve aus Belgien unterstützt. Der Kongreß nahm den Vorschlag von Clunet und Leve an. (11)
Der Grundsatz der "Inländerbehandlung" ist auch heute noch zusammen mit der "Unionspriorität" das wesentliche Element der PVÜ.

In der Schlußsitzung des Kongreßes wurde eine Kommission eingesetzt, welche sich wiederum aus nationalen Abteilungen zusammensetzte. Diese "Commission permanente internationale" sollte bei den Regierungen für eine Konferenz werben, um möglichst eine Vereinheitlichung der Gesetze über das gewerbliche Eigentum zu erreichen.
Der Patent-Kongreß endete am 17. September 1878, am 18. September hielt die permante Kommission die erste Sitzung ab, darin legte der Deputirte des Staatsrats in Bern, Bodenheimer, einen vorläufigen Vertrags Entwurf vor, "als Muster habe er die allgemeine Post-Convention zu Grunde gelegt".
Dieser Entwurf wurde von den Mitgliedern der permanten Kommission überarbeitet, und als Anlage A zum Sitzungs-Protokoll vom 19. September wurde ein "vorläufiger Vertrags-Entwurf betreffend die Bildung einer allgemeinen Vereinigung zum Schutze des gewerblichen Eigenthums" vorgestellt.

Dieser Entwurf umfasste 16 Artikel:

In Artikel 1 und 2 geht es um den Namen, "Vereinigung zum Schutz des gewerblichen Eigentums" und für was das ist: Erfindungs-Patente, gewerbliche Muster und Modelle, Fabrik oder Handels-marken und Handelsnamen.
In Artikel 3, Punkt 2 der wichtige Satz: "Die Ausländer müssen den Inländern gleichgestellt sein".
Weitere Punkte betreffen z. B. den Ausstellungsschutz und die Kolonien.
Artikel 4 Hauptgrundsätze für Erfindungspatente. Darin Punkt 7: "Die Einführung seitens des Patentinhabers von im Auslande nach dem ihm erteilten Patente verfertigten Gegenständen soll kein Grund des Erlöschens sein".
Artikel 5 Hauptgrundsätze für gewerbliche Muster und Modelle.
Artikel 6 Hauptgrundsätze für Fabrik- und Handelsmarken und Handelsnamen.
Artikel 7 bis 9, Organe der Vereinigung, Congress soll sich alle 2 Jahre versammeln um Verbesserungen vorzuschlagen, Stimmverteilung, Vollzugsverordnungen.
Artikel 10, "Jedes Land soll eine Special-Verwaltung für das gewerbliche Eigentum einsetzen"
Artikel 11 und 12 Aufgaben der Vollzugscommission, Kosten Verteilung.
Artikel 13 Vertrags Parteien können engere Vereinigungen abzuschließen.
Artikel 14 Verhalten bei Meinungsverschiedenheiten.
Artikel 15 und 16 Bedingungen zum Eintritt noch nicht beigetretener Staaten, Vertrag gilt auf unbestimmte Zeit, Möglichkeit des Austritts. (12)

In Frankreich erlosch seinerzeit ein Patent, wenn das patentierte Erzeugniss aus dem Ausland durch den Patentinhaber eingeführt wurde. Der Patentinhaber durfte also nur in Frankreich produzieren, so sollte die französischen Industrie gefördert werden. Bemerkenswert daher der obige Artikel 4, Punkt 7 des Entwurfs. Auch fällt auf, das der Entwurf noch nicht die Frage der Priorität behandelte.

Die französische Sektion der "Commission permanente internationale" übersandte an die übrigen nationalen Sektionen einen Fragenkatalog. Es sollten Punkte geklärt werden, die bei den Sitzungen nicht mehr beraten wurden.
Erst in dieser Vorlage wird unter Teil II., Erfindungspatente, der Vorschlag unterbreitet: "Jede in irgend einem den Vertrag schließenden Staaten vorschriftsmäßig bewirkte Hinterlegung eines Patentgesuchs soll in allen anderen Staaten die Priorität der Eintragung während einer Frist von .... begründen"(13)

Der französischen Sektion war bewußt, "eine vollständige Einheit ist allerdings zunächst kaum zu erhoffen..." Das war realistisch, denn selbst innerhalb der deutschen Sektion gingen die Ansichten weit auseinander.

Während der Sitzungen der deutschen Sektion im Oktober 1879 wurde über die Fragen der französischen Sektion beraten. Die Befürworter eines internationalen Vertrages stellten in Abrede, dass aus einer Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern für die deutschen Interessen irgendeine Gefahr zu befürchten sei.
Die Gegenpartei hielt es gerade für eine Schädigung deutscher Interessen, den Ausländern gleiche Rechte wie den Inländern einzuräumen, so lange nicht eine ausreichende Garantie für die Gewährung einer wirklichen Gegenseitigkeit gegeben sei. Auch werde die deutsche Reichsregierung Bedenken haben, einen Staatsvertrag abzuschließen, den man nicht ohne weiteres kündigen könne.
Auch sei dessen Tragweite im Augenblick gar nicht zu übersehen, da die deutsche Industrieschutz Gesetzgebung noch nicht die erforderlichen Erfahrungen gesammelt habe.Es empfehle sich deshalb, die Angelegenheit noch vorläufig auf sich beruhen zu lassen. Die deutschen Sektion stimmte daher der Frage der Inländerbehandlung nur mit Einschränkung zu.
Der Vorschlag, eine Hinterlegung eines Patentgesuches in einem Vertragsstaate soll eine Priorität für einen gewisen Zeitraum begründen, wurde abgelehnt. Begründet wurde dies mit der "eventuell unkontrolierbaren Zuverlässigkeit der Behörden halbzivilisierter Länder" und der Unvereinbarkeit mit dem deutschen Vorprüfungsverfahren. Den meisten der übrigen Fragen stimmte die deutsche Sektion zu. (14)

Die französische Sektion wurde vom Handelsministerium angewiesen, einen Vertrags Entwurf für eine internationalen Konvention vorzulegen, der die Verschiedenheit der nationalen Gesetzgebungen berücksichtige und denselben einen weiten Spielraum gab. Hier nahm sich nun Charles Jagerschmidt vom französischen Außenministerium der Sache an. Jagerschmidt, ein mit allen Wassern gewaschener Diplomat, war in den 1850ger Jahren Sécretaire de mission in Marokko und 1864 französischer Gesandter bei den Verhandlungen über die Genfer Konvention.
Er arbeitete mit der französischen Sektion einen Entwurf aus, der als Grundlage für eine Einladung zu einer erneuten Konferenz 1880 in Paris dienen konnte.
Carl Pieper beschrieb es später so:
""Die deutsche Reichsregirung hatte bis dahin zu der Konventionvorlage sich überhaupt nicht geäußert. Es wurde darum Comte Maillard de Marasy nach Berlin entsandt und vom Fürsten Bismark an den damaligen Präsidenten des Patentamtes, spätere Excellenz Dr. von Jacobi verwießen. Der Herr Präsident "sah sich zu seinem Bedauern zu erklären genötigt", daß er die französische Sprache nicht behersche und - in den wenigen restirenden Tagen - auch leider nicht in der Lage sei, den Herrn Reichskanzler in der Angelegenheit zu beraten""(15)

Von 04. bis 20. November 1880 fand in Paris die "Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle" statt. War Deutschland bloß deshalb nicht vetreten, weil es mit den Französisch Kenntnissen des Patentamts Präsidenten nicht so weit her war?
Das Fernbleiben Deutschlands wurde auf der Konferenz vom Schweizer Delegierten Kern angesprochen . (16). Er erwähnte die Einladungen des französischen Außenministers de Freycinet vom 16.12.1879 und 21.04.1880 an Deutschland. Der deutsche Botschafter in Paris, Prinz von Hohenlohe, erklärte in seiner Antwort vom 12.07.1880, dass Deutschland befürchte, seine Gesetzgebung grundlegend ändern zu müssen. Die deutsche Sektion der "Commission permanente internationale" übermittelte Bismark ihre Bedenken in dieser Angelegenheit. Daher entschied sich die Reichsregierung gegen eine Teilnahme an der Konferenz.

Folgende Staaten berieten über den vom französischen Delegierten Jagerschmidt vorgelegten Entwurf : Argentinien, Belgien, Brasilien, El Salvador, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Russland, Schweden, Schweiz, Türkei, Ungarn, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika. (Zwischen Schweden und Norwegen bestand damals eine Personalunion, jedes Land hatte aber seinen Gesandten, A. Lagerheim für Schweden, Professor Broch vertrat Norwegen. Auch die Donaumonarchie Österreich-Ungarn war mit eigenen Delegierten anwesend, Österreich mit Dr. Wörz und Graf Castell, Ungarn mit Dr. Herich.)

Es wurde ein Vertragsentwurf verabschiedet, der 19 Artikel und ein Schlußprotokoll enthielt.
Artikel. 2 betraf die "Inländerbehandlung", d. h. die Bürger eines Vertragsstaates sollten in jedem der teilnehmenden Länder die gleichen Rechte hinsichtlich der Patente, Muster usw. genießen wie die Einheimischen. Das war für die Schweiz und die Niederlande eine feine Sache, hatten sie doch zu jener Zeit gar kein eigenes Patentgesetz, könnten aber in den anderen Ländern die dortigen Gesetze nutzen.

In Artikel 4 wurden die Prioritätsfristen für Patente auf sechs Monate, für Muster und Marken auf drei Monate festgesetzt. Für die überseeischen Länder wurden diese Fristen um je einen Monat verlängert.
Die Prioritätsregelung gilt mit als wichtigste Vereinbarung im internationalen gewerblichen Rechtsschutz. Oder, wie der italienische Delegierte Indelli es sah, die ganze Convention ist in diesem Artikel. Worum geht es bei der Priorität? Ein Beispiel:
Es wird eine Erfindung im Land X angemeldet und die Patentanmeldung veröffentlicht. Eine Zeit darauf möchte man auch Schutz im Land Y und meldet die gleiche Erfindung auch dort an. Dort gilt die Erfindung aber nicht mehr als neu, da schon aus der Veröffentlichung im Land X bekannt. Das Patent wird abgelehnt. Um das zu vermeiden, müßte man schon in Land X und Land Y am selben Tag anmelden. Hier hilft nun die Priorität. Nach dem Entwurf des Art. 4 hätte man nach Anmeldung in einem der Vertragsstaaten sechs (bzw. sieben) Monate Zeit, das Patent auch in den anderen Vertragsstaaten anzumelden. Man nimmt also die Priorität der Erstanmeldung in einem der Vertragsstaaten in Anspruch.
Der schweizer Delegierte Weibel schlug auf der Konferenz 1 Jahr als Frist vor, er dachte dabei an die lange Dauer einer Patentprüfung z.B. in den USA. So hätte ein amerikanischer Anmelder genug Zeit, zu erkennen, ob er überhaupt ein Patent bekommt und es sich lohnt, die Sache auch woanders anzumelden. Er wurde aber von der Mehrheit überstimmt. (Erst auf der Revisionskonferenz in Brüssel 1900 wurde die Prioritätsfrist für Patente auf 12 Monate festgesetzt.)

In Art. 5 heißt es, die Einfuhr eines patentierten Gegenstandes durch den Patentinhaber in ein Land der Union, in welchem das Patent erteilt ist, soll nicht den Verlust des Patentes nach sich ziehen.
Gleichwohl soll der Patentinhaber verplichtet sein, sein Patent nach Maßgabe der Gesetze des Landes auszuüben, in welches er die Erzeugnisse einführt.
Ärger handelte sich der Präsident der Konferenz, der französische Senator Bozérian, mit seiner Meinung zum ersten Absatz von Artikel 5 ein. Laut dem französischen Patentgesetz von 1844 war ein Verfall des Patentes vorgesehen, wenn der Pateninhaber die Ware nach Frankreich einführte.(17) Damit sollte die französische Industrie geschützt werden, wie bereits erwähnt. Senator Bozérian wagte es nun, diese Bestimmung als barbarisch und absolut unnütz zu bezeichnen. Es wurden Stimmen laut, ihn wegen Hochverrats vor Gericht zu bringen. (18)

Art. 13. sah die Einrichtung eines "Bureau international de l'Union pour la protection de la Propriété industrielle" vor. Die Kosten sollten die Regierungen aller Vertragsstaaten übernehmen und das Büro der hohen Autorität der oberen Verwaltungsbehörde der Schweizer Eidgenossenschaft unterstellt sein.
Jagerschmidt empfahl Bern als Sitz, da dort bereits die Telegraphenunion und der allgemeine Postverein ihre "internationalen Büros" hatten.
Im Schluß-Protokoll der Konferenz waren die Aufgaben des Büros festgelegt. Es sollte Mitteilungen bezüglich des Schutzes des gewerblichen Eigentums sammeln und in einer Statistik vereinigen und ein auf französisch erscheinendes Blatt redigieren, welches die Union betreffende Fragen behandelte.(19)

Art. 14 schrieb Revisionskonferenzen vor, um das System der Union zu verbessern. Die nächste Zusammenkunft war für 1883 in Wien vorgesehen.

Art. 16 sollte es den Staaten, welche nicht der Konvention beigetreten wären, ermöglichen, sie auf ihr Verlangen zum Anschluß zuzulassen.

Der Vertragsentwurf sollte laut Schlußprotokoll durch Vermittlung der französischen Regierung auch den Regierungen mitgeteilt werden, welche nicht auf dem Kongreß vertreten waren. Mit Ausnahme Luxemburgs unterzeichneten die Vertreter aller teilnehmenden Staaten den Vertragsentwurf.

Wie war die Meinung in Deutschland zu den Ergebnissen der Konferenz?
Den Äußerungen der Handelskammern von Karlsruhe und Freiburg i./B. kann man große Sympathien für einen Beitritt Deutschlands zur Union entnehmen.(20)
Was man über die Ansicht der deutschen Sektion des internationalen Patentkongreßes nicht sagen kann. Auf der Sitzung vom 31.01.1881 in Berlin erklärte Professor Klostermann, "dass gegen den Pariser Entwurf als Staatsvertrag erhebliche Bedenken vorliegen, und zwar nicht blos gegen die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen, sondern gegen die Bildung eines Industrieschutzvereines überhaupt, soweit derselbe sich auf den Patentschutz erstreckt. Dagen sei ein solcher Industrieschutzverein mit Beschränkung auf den Markenschutz anzuerkennen." Der Chemnitzer Oberbürgermeister André teilte diese Meinung: "Der Abschluss eines Staatsvertrages sei bei der principiellen Verschiedenheit der Landesgesetzgebungen überhaupt zu widerrathen, vielmehr sei auf dem Wege der nationalen Gesetzgebung eine gleichmässige Grundlage herbeizuführen"
Nur Carl Pieper meinte, "dass der Entwurf eine sehr wohl zu beachtende Grundlage biete" .
Neben den früher geltend gemachten Bedenken vermisste die Versammlung auch die genügende Garantie für eine gerechte und gleichförmige Handhabung des Patentschutzes in Bezug auf
a.) die Ausführung der patentirten Erfindung im Inland,
b.) die Beschlagnahme eingeführter Waren durch die Zollbehörden,
c.) die Gewährung gleichförmigen Schutzes, insbesondere in der Schweiz und den Vereinigten Staaten.
Die Versammlung sprach sich mehrheitlich gegen den Beitritt Deutschlands zur geplanten Union aus, solange diese Bedenken nicht ausgeräumt wären. (21)

Eigentlich sollte die nächste Konferenz ja in Wien stattfinden, die Regierung Österreichs-Ungarns verhielt sich aber ablehnend.(22) So gab sich Frankreich die Ehre, nach Paris einzuladen.

So begann also am 06. März 1883 in Paris erneut eine "Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle". Es nahmen teil:
Argentinien, Belgien, Brasilien, El Salvador, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Spanien, Uruguay, Vereinigte Staaten von Amerika.
(Schweden und Norwegen wurden diesmal gemeinsam von Professor Broch aus Norwegen vertreten.) Die andauernde Abwesenheit Deutschlands sprach Jagerschmidt von der französischen Delegation an. Er bedauerte auch das unerwartete Fernbleiben Österreich-Ungarns, wo doch in Wien 1873 die ersten Grundlagen für eine internationale Einigung bezüglich des Patentrechts geschaffen wurden. Österreich-Ungarn begründete sein Fernbleiben damit, dass die Bestimmungen des Entwurfs mit dem eigenen Gesetz nicht vereinbar seien. Danach ist ein Schutz des geistigen Eigentums für Ausländer nur gewährleistet, wenn eine Gegenseitigkeit besteht. (23)
Waren die Diskussionsbeiträge der Konferenz von 1880 noch auf gut 113 Seiten abgedruckt, war man sich auf der Konferenz von 1883 einiger, diesmal reichten 21 Seiten. So wurde fast wörtlich der Vertragsentwurf von 1880 unterzeichnet, allerdings nicht von allen Teilnehmerstaaten:
Am 20. März 1883 unterzeichneten die Vertreter folgender Länder:
Belgien, Brasilien, El Salvador, Frankreich, Guatemala, Italien, Niederlande, Portugal, Schweiz, Serbien, und Spanien.
Damit ein völkerrechtlicher Vertrag auch rechtswirksam wird, muss er ratifiziert werden. Daher traf man sich am 06. Juni 1884 zum Austausch der Ratifikationsurkunden erneut in Paris. Inzwischen hatten auch Ecuador (21.12.1883), das Vereinigte Königreich (17.03.1884) und Tunesien (20.03.1884) ihren Beitritt erklärt. Diese Länder zählt man auch zu den Gründungsstaaten der Union, da der Vertrag laut § 18 erst einen Monat nach Austausch der Ratifikationen wirksam wurde.
Seit 07. Juli 1884 ist die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums gültig.

 

(1) Der Erfinderschutz und die Reform der Patentgesetze - Amtlicher Bericht über den Internationalen Patent-Congress zur Erörterung der Frage des Patentschutzes, Carl Pieper, Dresden, 1873, Seite 23, 24

(2) "On an international assimilation of patent law", The Mechanics' Magazine, London, 16. Januar, 1863, Seite 37-39",
z.B. auf Seite 37: "International Exhibitions are becoming international institutions, and an international convention as to patent rights is getting to be a universally felt necessity" oder auf Seite 38: "Of course, an international convention for the securing of intellectual property would be very difficult to bring about"

(3) siehe (1), Seite 2 und 3

(4) Unter den über 150 Teilnehmern waren zwei Militärs, Paul Jacovenco, Lieutenant i. d. K. Russ. Marine, und J. B. Kiddoo, Brig.-General, United States Army, ansonsten meist Ingenieure, Fabrikbesitzer, Professoren. Folgende Staaten entsandten Berichterstatter oder Vertreter :
Rumänien, Holland, Italien, Schweden, Preussen, Griechenland, Schweiz, Brasilien, Grossherzogtum Baden, USA, Würtemberg, England. Siehe die Teilnehmerliste in (1) Seite 263 - 267
Allerdings werden in (7) Seite 16, auch zusätzlich noch Österreich-Ungarn, Hamburg, Bayern, und Japan hinzugezählt, als offizielle oder offiziöse Teilnehmer.

(5) siehe (1) Seite 226, 234 - 236

(6) Patentrecht, Die Bedeutung der Pariser Verbandsübereinkunft für das Patentwesen, Dr. Karl Becher, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1967, Seite 19

(7) Geschichte der internationalen Union für den Schutz des gewerblichen Eigentums sammt Konvention und Staatsverträgen, im Auftrage der "Deutschen Permanenz-Kommission" und des "Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums" herausgegeben von deren Geschäftsführern Carl Pieper und Paul Schmid, (ohne Jahr, aber ca. 1893), Seite 7

(8), siehe (7) Seite 17

(9) Der Pariser Patent-Kongress, Patentblatt, 05.09.1878, Seite181, 182

(10) Patentblatt, Nr. 38, 1878, Seite 189 - 198

(11) siehe (10), Seite 192

(12) Patentblatt, Nr. 45, 46, und 47, 1878. Vertragsentwurf in Nr. 47, Seiten 253 bis 257 (in Bern wurde 1874 der "Allgemeine Postverein" gegründet, an seiner Entstehung war maßgeblich der "Geheimen Oberpostrat" im Generalpostamt Berlin, Heinrich von Stephan, beteiligt. Heute als "Universal Postal Union" eine Sonderorganisation der UN.)

(13) Patentblatt, Nr. 33, 1879, Seite 417- 424

(14) Bericht über den Fortgang der Verhandlungen "des internationalen Kongresses für Industrieschutz" zweite Sitzung der deutschen Sektion, in : Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes, Berlin,1880, Seite 136 - 143
Die deutsche Sektion setzte sich so zusammen:
Prof. Klostermann
, Geh. Regierungsrat Prof. Reuleaux und Ingenieur Carl Pieper. (Prof. Reuleaux legte den Vorsitz nieder, als er als Kommisar für die australische Weltausstellung verhindert war, an seine Stelle kam Geh. Regierungsrath Möller vom Verband deutscher Ingenieure und Architekten);
Mitglieder waren außerdem: Franz Wirth vom Verein deutscher Ingenieure;
Dr. André
vom deutschen Patentschutz-Verein und Chemnitzer Oberbürgermeister;
Dr. Martius vom Verein für Gewerbefleis;
Generaldirektor Schäffner vom Centralverband deutscher Industrieller;
Fabrikbesitzer und Stadtrat Zimmermann aus Hanau. Siehe Patentblatt, Nr. 33, 1879, Seite 423

(15) Blinde Regirungen und technische Schwerenöter -An Hand der Geschichte wider die alten Gegner, Carl Pieper, Berlin 1906, Seite 25

(16) Actes de la Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle réunie a Paris du 4 au 20 Novembre 1880, Deuxième Édition, Berne, Bureau International de l'Union, 1902, Seite 112, 113

Hier der entsprechende Text aus den "Actes de la Conférence ..." Seite 113:
"La Commission chargée d'examiner la proposition du Gouvernement francais, tout en reconnaissant l'importance de cette question pour l'Allemagne, ne peut admettre la nécessité pour le Gouvernement allemand de participer à une Conférence dont le résultat serait sans doute de modifier profondément la législation, de création toute récente, qui régit cette matière dans l'étendue de l'Empire. En conséquence, la Chancellerie impériale croit devoir décliner l'invitation que Votre Excellence m'avait prié de lui faire parvenir, etc." = "Die mit der Prüfung der Vorschläge der französischen Regierung beauftragte Kommission erkennt die Bedeutung dieser Fragen für Deutschland an, kann aber eine Notwendigkeit für die deutsche Regierung, an einer Konferenz teilzunehmen, deren Ergebnisse eine vollständige Abänderung der erst geschaffenen Gesetzgebung für das Reich zur Folge haben würde, nicht anerkennen. Infolgedessen glaubt das Reichskanzleramt, die Einladung Eurer Exzellenz ablehnen zu müssen."
so die Übersetzung bei
Peter Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes. Erfinder und Patente im Spiegel der Zeiten, Hrsg. von der Patentanwaltskammer, Carl Heymanns Verlag, Seite 484
und weiter
"
Il y a des points importants et nombreux sur lesquels un accord international peut parfaitement être obtenu, et avec une grande utilité, sans toucher aux principes différents des lois particulièrs.
Mais, avant tout, il faudrait éviter que, par la formation d'une Union internationale pour la protection de la propriété industrielle, analogue à celle des Postes, et dont l'Allemagne ne ferait pas partie, la situation actuelle de nos inventeurs ne devînt moins bonne envers l' étranger. Si une semblable Union adoptait le principe que seulement les ressortissants des États contractants seraient assimilés à ceux de chaque pays au point de vue de la protection de la propriété industrielle, la position des négociants allemands dans d'autres pays deviendrait moins favorable, et leurs intéréts seraient menacés
." Hiervon habe ich keine Übersetzung, wenn es jemand übersetzen könnte , wäre ich dankbar.

(17) siehe (16), Seite 44, 45

(18) The international Protection of industrial Property, by Stephen P. Ladas, Cambridge, Harvard University Press, 1930, Seite 83 und
Peter Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes. Erfinder und Patente im Spiegel der Zeiten, Hrsg. von der Patentanwaltskammer, Carl Heymanns Verlag, Seite 473

(19) siehe (16), Seite 83, 129

(20) Die Reform des Deutschen Patentrechtes, Ludwig Nolte, Tübingen, 1890, Seite 26

(21) Protocoll der vierten Sitzung der deutschen Section des internationalen Congresses für Industrieschutz, in: "Der Patent-Anwalt Archiv für Marken- und Musterschutz, Patentwesen und neue Erfindungen", No. 39, 15. Februar 1881, Seite 481 bis 483

(22) siehe (7) Seite 28

(23) Seite 14 in: Actes de la Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle réunie a Paris du 6 au 28 Mars 1883, Deuxième Édition, Berne, Bureau International de l'Union, 1900, (Es heißt da tatsächlich 28 März, aber es muß der 20. gemeint sein.)

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Quellenangaben
Links und E-Mail

Text geändert: 29.04.2006