PVÜ - Die
Pariser Verbandsübereinkunft
Union internationale pour
la Protection de la propriété industrielle
Was ist das für eine Übereinkunft, die auf
das Jahr 1883 zurückgeht und der heute (2006) 169
Staaten angehören? Ein Blick zurück in das 19. Jahrhundert: "Die Weltausstellungen sind aus
verschiedenen Gründen immer Anlass zur Discussion
verschiedener bestehender Patentgesetzgebungen
gewesen", schreibt Carl Pieper(1)
und erwähnt "The Mechanics' magazine".
Darin wird im Januar 1863 auf den Einfluß der
Austellungen von 1851, 1855 und 1862 auf die
Patentgesetzgebungen von England, bzw. Frankreich
hingewiesen. Im September 1871 erschien das Programm
und die Einladung für die Weltausstellung in Wien. Es
wurde, namentlich von Seiten der Vereinigten Staaten,
befürchtet, "dass viele Erfinder, Fabrikanten und
Industrielle diese nicht beschicken würden, weil ihre
Erfindung nicht so geschützt sei, wie amerikanische
Erfinder es beanspruchten" (3)
Österreich-Ungarn veröffentlichte deshalb am
28.11.1872 ein Gesetz, welches nicht nur den Schutz der
ausgestellten Erfindungen für das ganze Jahr 1873
zusicherte, sondern auch ermöglichte, den Schutz für
längere Zeit zu erweitern. "In Anbetracht der großen Ungleichheit der bestehenden Patentgesetzgebungen und in Anbetracht der veränderten internationalen Verkehrsbeziehungen der Jetzzeit liegt das Bedürfnis für Reformen vor, und es ist dringend zu empfehlen, daß die Regierungen sobald wie möglich eine internationale Verständigung über den Patentschutz herbeizuführen suchen" |
Bei den erwähnten veränderten internationalen Verkehrsbeziehungen kann man an den Bau des Suezkanals denken, der 1869 vollendet wurde. Im gleichen Jahr wurde in den USA die transkontinentale Eisenbahnverbindung geschaffen. Unterwasserkabel ermöglichten den Telegrahieverkehr zwischen der Alten und der Neuen Welt. (Bei lauter Begeisterung über die technischen Erungenschaften zur Zeit der damaligen Weltausstellungen soll aber auch an die Arbeitsbediengungen jener Zeit erinnert sein. Es gab kein Kranken- oder Unfallversicherungsgesetz, auch Kinderarbeit war noch üblich.) Dr. Andre, Delegierter des
deutsch. Ingenieur-Vereins hatte eine Vision: "...Das
Ideal wäre vielleicht eine einzige Patentbehörde für
die ganze Welt.." Den meisten Teilnehmern des
Patentkongreßes war klar, dass sich die Begeisterung der
Regierungen noch in Grenzen hielt und es noch nicht
gleich zum Abschluß internationaler Verträge kommen
würde. 1876 übermittelte Carl Pieper den Entwurf eines Programms für einen Kongreß anläßlich der Weltaustellung in Paris 1878 an den französischen Handelsminister. Pieper freute sich: "Wir fanden ...bei der französischen Regierung unausgesetzt ein Entgegenkommen nicht nur, sondern durchdringende Sachkenntnis und Förderung unserer Aufgaben". Auch der österreichische Architekten- und Ingenieur Verein und der niederösterreichische Gewerbeverein unterbreiteten ausführliche Vorschläge für den Pariser Kongreß. Der Patent Kongreß war einer von
mehreren, welche anläßlich der Weltaustellung
stattfanden. Die französische Regierung beteiligte sich
nicht offiziell daran, übernahm aber das Patronat für
diese Konferenzen und Kongreße. (9)
|
Der
Kongreß teilte sich in drei Sektionen: für
Erfindungspatente, für Muster und Modelle, und für
Fabrikmarken (Warenbezeichnungen). In der Eröffnungsrede
rief Minister Teisserenc de Bort die Teilnehmer auf:
"...Legen sie den Grund für eine internationale
Gesetzgebung..." (10). In
der Sitzung vom 06. September brachte der französiche
Teilnehmer Clunet, damals Advokat beim
Appellationsgericht in Paris, den Vorschlag ein,
"Die Ausländer müssen den Inländern
gleichgestellt sein". Der Delegierte der Schweiz,
Irner-Schneider, forderte im Namen seiner Regierung in
dieser Frage das Prinzip der Reziprozität. (Darunter
versteht man die Gegenseitigkeit nur bei entsprechender
Handhabung seitens des fremden Staates.) Die Schweizer
Position wurde auch vom französischen Juristen Lyon-Caen
unterstützt. In der Schlußsitzung des Kongreßes wurde eine
Kommission eingesetzt, welche sich wiederum aus
nationalen Abteilungen zusammensetzte. Diese
"Commission permanente internationale" sollte
bei den Regierungen für eine Konferenz werben, um
möglichst eine Vereinheitlichung der Gesetze über das
gewerbliche Eigentum zu erreichen. Dieser Entwurf umfasste 16 Artikel: In Artikel 1 und 2 geht es um den Namen,
"Vereinigung zum Schutz des gewerblichen
Eigentums" und für was das ist: Erfindungs-Patente,
gewerbliche Muster und Modelle, Fabrik oder
Handels-marken und Handelsnamen. In Frankreich erlosch seinerzeit ein Patent, wenn das patentierte Erzeugniss aus dem Ausland durch den Patentinhaber eingeführt wurde. Der Patentinhaber durfte also nur in Frankreich produzieren, so sollte die französischen Industrie gefördert werden. Bemerkenswert daher der obige Artikel 4, Punkt 7 des Entwurfs. Auch fällt auf, das der Entwurf noch nicht die Frage der Priorität behandelte. Die französische Sektion der "Commission
permanente internationale" übersandte an die
übrigen nationalen Sektionen einen Fragenkatalog. Es
sollten Punkte geklärt werden, die bei den Sitzungen
nicht mehr beraten wurden. Der französischen Sektion war bewußt, "eine vollständige Einheit ist allerdings zunächst kaum zu erhoffen..." Das war realistisch, denn selbst innerhalb der deutschen Sektion gingen die Ansichten weit auseinander. Während der Sitzungen der deutschen Sektion im
Oktober 1879 wurde über die
Fragen der französischen Sektion beraten. Die
Befürworter eines internationalen Vertrages stellten in
Abrede, dass aus einer Gleichstellung der Ausländer mit
den Inländern für die deutschen Interessen irgendeine
Gefahr zu befürchten sei. |
Die
französische Sektion wurde vom Handelsministerium
angewiesen, einen Vertrags Entwurf für eine
internationalen Konvention vorzulegen, der die
Verschiedenheit der nationalen Gesetzgebungen
berücksichtige und denselben einen weiten Spielraum gab.
Hier nahm sich nun Charles Jagerschmidt vom
französischen Außenministerium der Sache an.
Jagerschmidt, ein mit allen Wassern gewaschener Diplomat,
war in den 1850ger Jahren Sécretaire de mission in
Marokko und 1864 französischer Gesandter bei den
Verhandlungen über die Genfer Konvention. Er arbeitete mit der französischen Sektion einen Entwurf aus, der als Grundlage für eine Einladung zu einer erneuten Konferenz 1880 in Paris dienen konnte. Carl Pieper beschrieb es später so: ""Die deutsche Reichsregirung hatte bis dahin zu der Konventionvorlage sich überhaupt nicht geäußert. Es wurde darum Comte Maillard de Marasy nach Berlin entsandt und vom Fürsten Bismark an den damaligen Präsidenten des Patentamtes, spätere Excellenz Dr. von Jacobi verwießen. Der Herr Präsident "sah sich zu seinem Bedauern zu erklären genötigt", daß er die französische Sprache nicht behersche und - in den wenigen restirenden Tagen - auch leider nicht in der Lage sei, den Herrn Reichskanzler in der Angelegenheit zu beraten""(15) Von
04. bis 20. November 1880 fand in Paris
die "Conférence internationale pour la protection
de la propriété industrielle" statt. War
Deutschland bloß deshalb nicht vetreten, weil es mit den
Französisch Kenntnissen des Patentamts Präsidenten
nicht so weit her war? Folgende Staaten berieten über den vom französischen Delegierten Jagerschmidt vorgelegten Entwurf : Argentinien, Belgien, Brasilien, El Salvador, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Russland, Schweden, Schweiz, Türkei, Ungarn, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika. (Zwischen Schweden und Norwegen bestand damals eine Personalunion, jedes Land hatte aber seinen Gesandten, A. Lagerheim für Schweden, Professor Broch vertrat Norwegen. Auch die Donaumonarchie Österreich-Ungarn war mit eigenen Delegierten anwesend, Österreich mit Dr. Wörz und Graf Castell, Ungarn mit Dr. Herich.) Es wurde ein Vertragsentwurf verabschiedet, der 19
Artikel und ein Schlußprotokoll enthielt. In Artikel 4 wurden die Prioritätsfristen für
Patente auf sechs Monate, für Muster und Marken auf drei
Monate festgesetzt. Für die überseeischen Länder
wurden diese Fristen um je einen Monat verlängert. |
In
Art. 5 heißt es, die Einfuhr eines patentierten
Gegenstandes durch den Patentinhaber in ein Land der
Union, in welchem das Patent erteilt ist, soll nicht den
Verlust des Patentes nach sich ziehen. Gleichwohl soll der Patentinhaber verplichtet sein, sein Patent nach Maßgabe der Gesetze des Landes auszuüben, in welches er die Erzeugnisse einführt. Ärger handelte sich der Präsident der Konferenz, der französische Senator Bozérian, mit seiner Meinung zum ersten Absatz von Artikel 5 ein. Laut dem französischen Patentgesetz von 1844 war ein Verfall des Patentes vorgesehen, wenn der Pateninhaber die Ware nach Frankreich einführte.(17) Damit sollte die französische Industrie geschützt werden, wie bereits erwähnt. Senator Bozérian wagte es nun, diese Bestimmung als barbarisch und absolut unnütz zu bezeichnen. Es wurden Stimmen laut, ihn wegen Hochverrats vor Gericht zu bringen. (18) Art. 13.
sah die Einrichtung eines "Bureau international de
l'Union pour la protection de la Propriété
industrielle" vor. Die Kosten sollten die
Regierungen aller Vertragsstaaten übernehmen und das
Büro der hohen Autorität der oberen Verwaltungsbehörde
der Schweizer Eidgenossenschaft unterstellt sein. Art. 14 schrieb Revisionskonferenzen vor, um das System der Union zu verbessern. Die nächste Zusammenkunft war für 1883 in Wien vorgesehen. Art. 16 sollte es den Staaten, welche nicht der Konvention beigetreten wären, ermöglichen, sie auf ihr Verlangen zum Anschluß zuzulassen. Der Vertragsentwurf sollte laut Schlußprotokoll durch Vermittlung der französischen Regierung auch den Regierungen mitgeteilt werden, welche nicht auf dem Kongreß vertreten waren. Mit Ausnahme Luxemburgs unterzeichneten die Vertreter aller teilnehmenden Staaten den Vertragsentwurf. Wie war die Meinung in Deutschland zu den Ergebnissen
der Konferenz? |
Eigentlich
sollte die nächste Konferenz ja in Wien stattfinden, die
Regierung Österreichs-Ungarns verhielt sich aber
ablehnend.(22) So gab sich
Frankreich die Ehre, nach Paris einzuladen. So begann
also am 06. März 1883 in Paris erneut
eine "Conférence internationale pour la protection
de la propriété industrielle". Es nahmen teil: |
(1) Der Erfinderschutz und die
Reform der Patentgesetze - Amtlicher Bericht über den
Internationalen Patent-Congress zur Erörterung der Frage
des Patentschutzes, Carl Pieper, Dresden, 1873, Seite 23,
24 (2) "On an
international assimilation of patent law", The
Mechanics' Magazine, London, 16. Januar, 1863, Seite
37-39", (3) siehe (1), Seite 2 und 3 (4) Unter den über 150
Teilnehmern waren zwei Militärs, Paul Jacovenco,
Lieutenant i. d. K. Russ. Marine, und J. B. Kiddoo,
Brig.-General, United States Army, ansonsten meist
Ingenieure, Fabrikbesitzer, Professoren. Folgende Staaten
entsandten Berichterstatter oder Vertreter : (5) siehe (1) Seite 226, 234 - 236 (6) Patentrecht, Die Bedeutung der Pariser Verbandsübereinkunft für das Patentwesen, Dr. Karl Becher, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1967, Seite 19 (7) Geschichte der internationalen Union für den Schutz des gewerblichen Eigentums sammt Konvention und Staatsverträgen, im Auftrage der "Deutschen Permanenz-Kommission" und des "Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums" herausgegeben von deren Geschäftsführern Carl Pieper und Paul Schmid, (ohne Jahr, aber ca. 1893), Seite 7 (8), siehe (7) Seite 17 (9) Der Pariser Patent-Kongress, Patentblatt, 05.09.1878, Seite181, 182 (10) Patentblatt, Nr. 38, 1878, Seite 189 - 198 (11) siehe (10), Seite 192 |
(12) Patentblatt, Nr. 45, 46, und
47, 1878. Vertragsentwurf in Nr. 47, Seiten 253 bis 257
(in Bern wurde 1874 der "Allgemeine Postverein"
gegründet, an seiner Entstehung war maßgeblich der
"Geheimen Oberpostrat" im Generalpostamt
Berlin, Heinrich von Stephan, beteiligt. Heute als
"Universal Postal Union" eine
Sonderorganisation der UN.) (13) Patentblatt, Nr. 33, 1879, Seite 417- 424 (14) Bericht
über den Fortgang der Verhandlungen "des
internationalen Kongresses für Industrieschutz"
zweite Sitzung der deutschen Sektion, in : Verhandlungen
des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes,
Berlin,1880, Seite 136 - 143 (15) Blinde Regirungen und technische Schwerenöter -An Hand der Geschichte wider die alten Gegner, Carl Pieper, Berlin 1906, Seite 25 (16) Actes de la Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle réunie a Paris du 4 au 20 Novembre 1880, Deuxième Édition, Berne, Bureau International de l'Union, 1902, Seite 112, 113 Hier der entsprechende Text aus den "Actes de la
Conférence ..." Seite 113: (17) siehe (16), Seite 44, 45 (18) The international
Protection of industrial Property, by Stephen P. Ladas,
Cambridge, Harvard University Press, 1930, Seite 83 und (19) siehe (16), Seite 83, 129 (20) Die Reform des Deutschen Patentrechtes, Ludwig Nolte, Tübingen, 1890, Seite 26 (21) Protocoll der vierten Sitzung der deutschen Section des internationalen Congresses für Industrieschutz, in: "Der Patent-Anwalt Archiv für Marken- und Musterschutz, Patentwesen und neue Erfindungen", No. 39, 15. Februar 1881, Seite 481 bis 483 (22) siehe (7) Seite 28 (23) Seite 14 in: Actes de la Conférence internationale pour la protection de la propriété industrielle réunie a Paris du 6 au 28 Mars 1883, Deuxième Édition, Berne, Bureau International de l'Union, 1900, (Es heißt da tatsächlich 28 März, aber es muß der 20. gemeint sein.) Zurück
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Text geändert: 29.04.2006