P
a t e n t g e s e t z
Vom 7. April 1891
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser,
König von Preußen ec.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung
des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:
Artikel I.
An Stelle der §§. 1 bis 40 des Patentgesetzes vom
25. Mai 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 501) treten folgende
Bestimmungen.
Erster Abschnitt.
Patentrecht.
§. 1.
Patente werden ertheilt für neue Erfindungen, welche
eine gewerbliche Verwerthung gestatten.
Ausgenommen sind:
1. Erfindungen, deren Verwerthung den Gesetzen oder guten
Sitten zuwiderlaufen würde;
2. Erfindungen von Nahrungs-, Genuß- und Arzneimitteln,
sowie von Stoffen, welche auf chemischem Wege hergestellt
werden, soweit die Erfindungen nicht ein bestimmtes
Verfahren zur Herstellung der Gegenstände betreffen.
§. 2.
Eine Erfindung gilt nicht als neu, wenn sie zur Zeit der
auf Grund dieses Gesetzes erfolgten Anmeldung in
öffentlichen Druckschriften aus den letzten hundert
Jahren bereits derart beschrieben oder im Inlande bereits
so offenkundig benutzt ist, daß danach die Benutzung
durch andere Sachverständige möglich erscheint.
Die im Auslande amtlich herausgegebenen
Patentbeschreibungen stehen den öffentlichen
Druckschriften erst nach Ablauf von drei Monaten seit dem
Tage der Herausgabe gleich, sofern das Patent von
demjenigen, welcher die Erfindung im Auslande angemeldet
hat, oder von seinem Rechtsnachfolger nachgesucht wird.
Diese Begünstigung erstreckt sich jedoch nur auf die
amtlichen Patentbeschreibungen derjenigen Staaten, in
welchen nach einer im Reichs-Gesetzblatt enthaltenen
Bekanntmachung die Gegenseitigkeit verbürgt ist.
§. 3.
Auf die Ertheilung des Patentes hat derjenige Anspruch,
welcher die Erfindung zuerst nach Maßgabe dieses
Gesetzes angemeldet hat. Eine spätere Anmeldung kann den
Anspruch auf ein Patent nicht begründen, wenn die
Erfindung Gegenstand des Patents des früheren Anmelders
ist. Trifft diese Voraussetzung theilweise zu, so hat der
spätere Anmelder nur Anspruch auf Ertheilung eines
Patents in entsprechender Beschränkung.
Ein Anspruch des Patentsuchers auf Ertheilung des
Patentes findet nicht statt, wenn der wesentliche Inhalt
seiner Anmeldung den Beschreibungen, Zeichnungen,
Modellen, Geräthschaften oder Einrichtungen eines
Anderen oder einem von diesem angewendeten Verfahren ohne
Einwilligung desselben entnommen, und von dem letzteren
aus diesem Grunde Einspruch erhoben ist. Hat der
Einspruch die Zurücknahme oder Zurückweisung der
Anmeldung zur Folge, so kann der Einsprechende, falls er
innerhalb eines Monats seit Mittheilung des hierauf
bezüglichen Bescheides des Patentamts die Erfindung
seinerseits anmeldet, verlangen, daß als Tag seiner
Anmeldung der Tag vor Bekanntmachung der früheren
Anmeldung festgesetzt werde.
§. 4.
Das Patent hat die Wirkung, daß der Patentinhaber
ausschließlich befugt ist, gewerbsmäßig den Gegenstand
der Erfindung herzustellen, in Verkehr zu bringen,
feilzuhalten oder zu gebrauchen. Ist das Patent für ein
Verfahren ertheilt, so erstreckt sich die Wirkung auch
auf die durch das Verfahren unmittelbar hergestellten
Erzeugnisse.
§. 5.
Die Wirkung des Patents tritt gegen denjenigen nicht ein,
welcher zur Zeit der Anmeldung bereits im Inlande die
Erfindung in Benutzung genommen oder die zur Benutzung
erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte. Derselbe
ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines
eigenen Betriebes in eigenen oder fremden Werkstätten
auszunutzen. Diese Befugniß kann nur zusammen mit dem
Betriebe vererbt oder veräußert werden.
Die Wirkung des Patents tritt ferner insoweit nicht ein,
als die Erfindung nach Bestimmung des Reichskanzlers für
das Heer oder für die Flotte oder sonst im Interesse der
öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll. Doch hat der
Patentinhaber in diesem Falle gegenüber dem Reich oder
dem Staate, welcher in seinem besonderen Interesse die
Beschränkung des Patents beantragt hat, Anspruch auf
angemessene Vergütung, welche in Ermangelung einer
Verständigung im Rechtswege festgesetzt wird.
Auf Einrichtungen an Fahrzeugen, die nur vorübergehend
in das Inland gelangen, erstreckt sich die Wirkung des
Patents nicht.
§. 6.
Der Anspruch auf Ertheilung des Patents und das Recht aus
dem Patent gehen auf die Erben über. Der Anspruch und
das Recht können beschränkt oder unbeschränkt durch
Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf andere
übertragen werden.
§. 7.
Die Dauer des Patents ist fünfzehn Jahre; der Lauf
dieser Zeit beginnt mit dem auf die Anmeldung der
Erfindung folgenden Tage. Bezweckt eine Erfindung die
Verbesserung einer anderen, zu Gunsten des Patentsuchers
durch ein Patent geschützten Erfindung, so kann dieser
die Ertheilung eines Zusatzpatents nachsuchen, welches
mit dem Patent für die ältere Erfindung sein Ende
erreicht.
Wird durch die Erklärung der Nichtigkeit des
Hauptpatents ein Zusatzpatent zu einem selbständigen
Patent, so bestimmt sich dessen Dauer und der
Fälligkeitstag der Gebühren nach dem Anfangstage des
Hauptpatents. Für den Jahresbetrag der Gebühren ist der
Anfangstag des Zusatzpatents maßgebend. Dabei gilt als
erstes Patentjahr der Zeitabschnitt zwischen dem Tage der
Anmeldung des Zusatzpatents und dem nächstfolgenden
Jahrestage des Anfangs des Hauptpatents.
§. 8.
Für jedes Patent ist bei der Ertheilung eine Gebühr von
dreißig Mark zu entrichten (§. 24 Absatz 1).
Mit Ausnahme der Zusatzpatente (§. 7) ist außerdem für
das Patent mit Beginn des zweiten und jeden folgenden
Jahres der Dauer eine Gebühr zu entrichten, welche das
erste Mal fünfzig Mark beträgt und weiterhin jedes Jahr
um fünfzig Mark steigt.
Diese Gebühr (Absatz 2) ist innerhalb sechs Wochen nach
der Fälligkeit zu entrichten. Nach Ablauf dieser Frist
kann die Zahlung nur unter Zuschlag einer Gebühr von
zehn Mark innerhalb weiterer sechs Wochen erfolgen.
Einem Patentinhaber, welcher seine Bedürftigkeit
nachweist, können die Gebühren für das erste und
zweite Jahr der Dauer des Patents bis zum dritten Jahre
gestundet und, wenn das Patent im dritten Jahre erlischt,
erlassen werden.
Die Zahlung der Gebühren kann vor Eintritt der
Fälligkeit erfolgen. Wird auf das Patent verzichtet oder
dasselbe für nichtig erklärt oder zurückgenommen, so
erfolgt die Rückzahlung der nicht fällig gewordenen
Gebühren.
Durch Beschluß des Bundesraths kann eine Herabsetzung
der Gebühren angeordnet werden.
§. 9.
Das Patent erlischt, wenn der Patentinhaber auf dasselbe
verzichtet, oder wenn die Gebühren nicht rechtzeitig bei
der Kasse des Patentamts oder zur Ueberweisung an
dieselbe bei einer Postanstalt im Gebiete des Deutschen
Reichs eingezahlt sind.
§. 10.
Das Patent wird für nichtig erklärt, wenn sich ergiebt:
1. daß der Gegenstand nach §§. 1 und 2 nicht
patentfähig war,
2. daß die Erfindung Gegenstand des Patents eines
früheren Anmelders ist,
3. daß der wesentliche Inhalt der Anmeldung den
Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Geräthschaften
oder Einrichtungen eines Anderen oder einem von diesem
angewendeten Verfahren ohne Einwilligung desselben
entnommen war.
Trifft eine dieser Voraussetzungen (1 bis 3) nur
theilweise zu, so erfolgt die Erklärung der Nichtigkeit
durch entsprechende Beschränkung des Patents.
§. 11.
Das Patent kann nach Ablauf von drei Jahren, von dem Tage
der über die Ertheilung des Patents erfolgten
Bekanntmachung (§. 27 Absatz 1) gerechnet,
zurückgenommen werden:
1. wenn der Patentinhaber es unterläßt, im Inlande die
Erfindung in angemessenem Umfange zur Ausführung zu
bringen, oder doch alles zu thun, was erforderlich ist,
um diese Ausführung zu sichern;
2. wenn im öffentlichen Interesse die Ertheilung der
Erlaubniß zur Benutzung der Erfindung an andere geboten
erscheint, der Patentinhaber aber gleichwohl sich
weigert, diese Erlaubniß gegen angemessene Vergütung
und genügende Sicherstellung zu ertheilen.
§. 12.
Wer nicht im Inlande wohnt, kann den Anspruch auf die
Ertheilung eines Patents und die Rechte aus dem Patent
nur geltend machen, wenn er im Inlande einen Vertreter
bestellt hat. Der Letztere ist zur Vertretung in dem nach
Maßgabe dieses Gesetzes stattfindenden Verfahren, sowie
in den das Patent betreffenden bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten und zur Stellung von Strafanträgen
befugt. Der Ort, wo der Vertreter seinen Wohnsitz hat,
und in Ermangelung eines solchen der Ort, wo das
Patentamt seinen Sitz hat, gilt im Sinne des §. 24 der
Civilprozeßordnung als der Ort, wo sich der
Vermögensgegenstand befindet.
Unter Zustimmung des Bundesraths kann durch Anordnung des
Reichskanzlers bestimmt werden, daß gegen die
Angehörigen eines ausländischen Staates ein
Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht werde.
Zweiter Abschnitt.
Patentamt.
§. 13.
Die Ertheilung, die Erklärung der Nichtigkeit und die
Zurücknahme der Patente erfolgt durch das Patentamt.
Das Patentamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus
einem Präsidenten, aus Mitgliedern, welche die
Befähigung zum Richteramt oder zum höheren
Verwaltungsdienst besitzen (rechtskundige Mitglieder),
und aus Mitgliedern, welche in einem Zweige der Technik
sachverständig sind (technische Mitglieder).
Die Mitglieder werden, und zwar der Präsident auf
Vorschlag des Bundesraths, vom Kaiser ernannt. Die
Berufung der rechtskundigen Mitglieder erfolgt, wenn sie
im Reichs- oder Staatsdienst ein Amt bekleiden, auf die
Dauer dieses Amts, anderenfalls auf Lebenszeit. Die
Berufung der technischen Mitglieder erfolgt entweder auf
Lebenszeit oder auf fünf Jahre. Im letzteren Falle
finden auf sie die Bestimmungen im §. 16 des Gesetzes,
betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom
31. März 1873 keine Anwendung.
§. 14.
In dem Patentamt werden
1. Abtheilungen für die Patentanmeldungen
(Anmeldeabtheilungen),
2. eine Abtheilung für die Anträge auf Erklärung der
Nichtigkeit oder auf Zurücknahme von Patenten
(Nichtigkeitsabtheilung),
3. Abtheilungen für die Beschwerden
(Beschwerdeabtheilungen)
gebildet.
In den Anmeldeabtheilungen dürfen nur solche technischen
Mitglieder mitwirken, welche auf Lebenszeit berufen sind.
Die technischen Mitglieder der Anmeldeabtheilungen
dürfen nicht in den übrigen Abtheilungen, die
technischen Mitglieder der letzteren nicht in den
Anmeldeabtheilungen mitwirken.
Die Beschlußfähigkeit der Anmeldeabtheilungen ist durch
die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern bedingt,
unter welchen sich zwei technische Mitglieder befinden
müssen.
Die Entscheidungen der Nichtigkeitsabtheilung und der
Beschwerdeabtheilungen erfolgen in der Besetzung von zwei
rechtskundigen und drei technischen Mitgliedern. Zu
anderen Beschlüssen genügt die Anwesenheit von drei
Mitgliedern.
Die Bestimmungen der Civilprozeßordnung über
Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen finden
entsprechende Anwendung.
Zu den Berathungen können Sachverständige, welche nicht
Mitglieder sind, zugezogen werden; dieselben dürfen an
den Abstimmungen nicht theilnehmen.
§. 15.
Die Beschlüsse und die Entscheidungen der Abtheilungen
erfolgen im Namen des Patentamts; sie sind mit Gründen
zu versehen, schriftlich auszufertigen und allen
Betheiligten von Amtswegen zuzustellen.
§. 16.
Gegen die Beschlüsse der Anmeldeabtheilungen und der
Nichtigkeitsabtheilung findet die Beschwerde statt. An
der Beschlußfassung über die Beschwerde darf kein
Mitglied teilnehmen, welches bei dem angefochtenen
Beschlusse mitgewirkt hat.
§. 17.
Die Bildung der Abtheilungen, die Bestimmung ihres
Geschäftskreises, die Formen des Verfahrens,
einschließlich des Zustellungswesens, und der
Geschäftsgang des Patentamts werden, insoweit dieses
Gesetz nicht Bestimmungen darüber trifft, durch
Kaiserliche Verordnung unter Zustimmung des Bundesraths
geregelt.
§. 18.
Das Patentamt ist verpflichtet, auf Ersuchen der Gerichte
über Fragen, welche Patente betreffen, Gutachten
abzugeben, sofern in dem gerichtlichen Verfahren von
einander abweichende Gutachten mehrerer Sachverständiger
vorliegen.
Im Uebrigen ist das Patentamt nicht befugt, ohne
Genehmigung des Reichskanzlers außerhalb seines
gesetzlichen Geschäftskreises Beschlüsse zu fassen oder
Gutachten abzugeben.
§. 19.
Bei dem Patentamt wird eine Rolle geführt, welche den
Gegenstand und die Dauer der ertheilten Patente, sowie
den Namen und Wohnort der Patentinhaber und ihrer bei
Anmeldung der Erfindung etwa bestellten Vertreter
angiebt. Der Anfang, der Ablauf, das Erlöschen, die
Erklärung der Nichtigkeit und die Zurücknahme der
Patente sind, unter gleichzeitiger Bekanntmachung durch
den Reichsanzeiger, in der Rolle zu vermerken.
Tritt in der Person des Patentinhabers oder seines
Vertreters eine Aenderung ein, so wird dieselbe, wenn sie
in beweisender Form zur Kenntniß des Patentamts gebracht
ist, ebenfalls in der Rolle vermerkt und durch den
Reichsanzeiger veröffentlicht. Solange dieses nicht
geschehen ist, bleiben der frühere Patentinhaber und
sein früherer Vertreter nach Maßgabe dieses Gesetzes
berechtigt und verpflichtet.
Die Einsicht der Rolle, der Beschreibungen, Zeichnungen,
Modelle und Probestücke, auf Grund deren die Ertheilung
der Patente erfolgt ist, steht, soweit es sich nicht um
ein im Namen der Reichsverwaltung für die Zwecke des
Heeres oder der Flotte genommenes Patent handelt,
jedermann frei.
Das Patentamt veröffentlicht die Beschreibungen und
Zeichnungen, soweit deren Einsicht jedermann freisteht,
in ihren wesentlichen Theilen durch ein amtliches Blatt.
In dasselbe sind auch die Bekanntmachungen aufzunehmen,
welche durch den Reichsanzeiger nach Maßgabe dieses
Gesetzes erfolgen müssen.
Dritter Abschnitt.
Verfahren in Patentsachen.
§. 20.
Die Anmeldung einer Erfindung behufs Ertheilung eines
Patents geschieht schriftlich bei dem Patentamt. Für
jede Erfindung ist eine besondere Anmeldung erforderlich.
Die Anmeldung muß den Antrag auf Ertheilung des Patents
enthalten und in dem Antrage den Gegenstand, welcher
durch das Patent geschützt werden soll, genau
bezeichnen. In einer Anlage ist die Erfindung dergestalt
zu beschreiben, daß danach die Benutzung derselben durch
andere Sachverständige möglich erscheint. Am Schlusse
der Beschreibung ist dasjenige anzugeben, was als
patentfähig unter Schutz gestellt werden soll
(Patentanspruch). Auch sind die erforderlichen
Zeichnungen, bildlichen Darstellungen, Modelle und
Probestücke beizufügen.
Das Patentamt erläßt Bestimmungen über die sonstigen
Erfordernisse der Anmeldung.
Bis zum Beschlusse über die Bekanntmachung der Anmeldung
sind Abänderungen der darin enthaltenen Angaben
zulässig. Gleichzeitig mit der Anmeldung sind für die
Kosten des Verfahrens zwanzig Mark zu zahlen.
§. 21.
Die Anmeldung unterliegt einer Vorprüfung durch ein
Mitglied der Anmeldeabtheilung.
Erscheint hierbei die Anmeldung als den vorgeschriebenen
Anforderungen (§. 20) nicht genügend, so wird durch
Vorbescheid der Patentsucher aufgefordert, die Mängel
innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen.
Insoweit die Vorprüfung ergiebt, daß eine nach §§. 1,
2, 3 Absatz 1 patentfähige Erfindung nicht vorliegt,
wird der Patentsucher hiervon unter Angabe der Gründe
mit der Aufforderung benachrichtigt, sich binnen einer
bestimmten Frist zu äußern.
Erklärt sich der Patentsucher auf den Vorbescheid
(Absatz 2 und 3) nicht rechtzeitig, so gilt die Anmeldung
als zurückgenommen; erklärt er sich innerhalb der
Frist, so faßt die Anmeldeabtheilung Beschluß.
§. 22.
Ist durch die Anmeldung den vorgeschriebenen
Anforderungen (§. 20) nicht genügt oder ergiebt sich,
daß eine nach §§. 1, 2, 3 Absatz 1 patentfähige
Erfindung nicht vorliegt, so wird die Anmeldung von der
Abtheilung zurückgewiesen. An der Beschlußfassung darf
das Mitglied, welches den Vorbescheid erlassen hat, nicht
theilnehmen.
Soll die Zurückweisung auf Grund von Umständen
erfolgen, welche nicht bereits durch den Vorbescheid dem
Patentsucher mitgetheilt waren, so ist demselben vorher
Gelegenheit zu geben, sich über diese Umstände binnen
einer bestimmten Frist zu äußern.
§. 23.
Erachtet das Patentamt die Anmeldung für gehörig
erfolgt und die Ertheilung eines Patents nicht für
ausgeschlossen, so beschließt es die Bekanntmachung der
Anmeldung. Mit der Bekanntmachung treten für den
Gegenstand der Anmeldung zu Gunsten des Patentsuchers
einstweilen die gesetzlichen Wirkungen des Patents ein
(§§. 4 und 5).
Die Bekanntmachung geschieht in der Weise, daß der Name
des Patentsuchers und der wesentliche Inhalt des in
seiner Anmeldung enthaltenen Antrags durch den
Reichsanzeiger einmal veröffentlicht wird. Mit der
Veröffentlichung ist die Anzeige zu verbinden, daß der
Gegenstand der Anmeldung einstweilen gegen unbefugte
Benutzung geschützt sei.
Gleichzeitig ist die Anmeldung mit sämmtlichen Beilagen
bei dem Patentamt zur Einsicht für jedermann auszulegen.
Auf dem durch §. 17 des Gesetzes bestimmten Wege kann
angeordnet werden, daß die Auslegung auch außerhalb
Berlins zu erfolgen habe.
Die Bekanntmachung kann auf Antrag des Patentsuchers auf
die Dauer von höchstens sechs Monaten, vom Tage des
Beschlusses über die Bekanntmachung an gerechnet,
ausgesetzt werden. Bis zur Dauer von drei Monaten darf
die Aussetzung nicht versagt werden.
Handelt es sich um ein im Namen der Reichsverwaltung für
die Zwecke des Heeres oder der Flotte nachgesuchtes
Patent, so erfolgt auf Antrag die Patentertheilung ohne
jede Bekanntmachung. In diesem Falle unterbleibt auch die
Eintragung in die Patentrolle.
§. 24.
Innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der
Veröffentlichung (§. 23) ist die erste Jahresgebühr
(§. 8 Absatz 1) einzuzahlen. Erfolgt die Einzahlung
nicht binnen dieser Frist, so gilt die Anmeldung als
zurückgenommen.
Innerhalb der gleichen Frist kann gegen die Ertheilung
des Patents Einspruch erhoben werden. Der Einspruch muß
schriftlich erfolgen und mit Gründen versehen sein. Er
kann nur auf die Behauptung gestützt werden, daß der
Gegenstand nach §§. 1 und 2 nicht patentfähig sei,
oder daß dem Patentsucher ein Anspruch auf das Patent
nach §. 3 nicht zustehe. Im Falle des §. 3 Absatz 2 ist
nur der Verletzte zum Einspruch berechtigt.
Nach Ablauf der Frist hat das Patentamt über die
Ertheilung des Patents Beschluß zu fassen. An der
Beschlußfassung darf das Mitglied, welches den
Vorbescheid erlassen hat, nicht theilnehmen.
§. 25.
Bei der Vorprüfung und in dem Verfahren vor der
Anmeldeabtheilung kann jederzeit die Ladung und Anhörung
der Betheiligten, die Vernehmung von Zeugen und
Sachverständigen, sowie die Vornahme sonstiger zur
Aufklärung der Sache erforderlicher Ermittelungen
angeordnet werden.
§. 26.
Gegen den Beschluß, durch welchen die Anmeldung
zurückgewiesen wird, kann der Patentsucher, und gegen
den Beschluß, durch welchen über die Ertheilung des
Patentes entschieden wird, der Patentsucher oder der
Einsprechende innerhalb eines Monats nach der Zustellung
Beschwerde einlegen. Mit der Einlegung der Beschwerde
sind für die Kosten des Beschwerdeverfahrens zwanzig
Mark zu zahlen; erfolgt die Zahlung nicht, so gilt die
Beschwerde als nicht erhoben.
Ist die Beschwerde an sich nicht statthaft oder ist
dieselbe verspätet eingelegt, so wird sie als
unzulässig verworfen.
Wird die Beschwerde für zulässig befunden, so richtet
sich das weitere Verfahren nach §. 25. Die Ladung und
Anhörung der Betheiligten muß auf Antrag eines
derselben erfolgen. Dieser Antrag kann nur abgelehnt
werden, wenn die Ladung des Antragstellers in dem
Verfahren vor der Anmeldeabtheilung bereits erfolgt war.
Soll die Entscheidung über die Beschwerde auf Grund
anderer als der in dem angegriffenen Beschlusse
berücksichtigten Umstände erfolgen, so ist den
Betheiligten zuvor Gelegenheit zu geben, sich hierüber
zu äußern.
Das Patentamt kann nach freiem Ermessen bestimmen,
inwieweit einem Betheiligten im Falle des Unterliegens
die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Last fallen,
sowie anordnen, daß dem Betheiligten, dessen Beschwerde
für gerechtfertigt befunden ist, die Gebühr (Absatz 1)
zurückgezahlt wird.
§. 27.
Ist die Ertheilung des Patents endgültig beschlossen, so
erläßt das Patentamt darüber durch den Reichsanzeiger
eine Bekanntmachung und fertigt demnächst für den
Patentinhaber eine Urkunde aus.
Wird die Anmeldung nach der Veröffentlichung (§. 23)
zurückgenommen oder wird das Patent versagt, so ist dies
ebenfalls bekannt zu machen. Mit der Versagung des
Patents gelten die Wirkungen des einstweiligen Schutzes
als nicht eingetreten.
§. 28.
Die Einleitung des Verfahrens wegen Erklärung der
Nichtigkeit oder wegen Zurücknahme des Patents erfolgt
nur auf Antrag.
Im Falle des §. 10 Nr. 3 ist nur der Verletzte zu dem
Antrage berechtigt.
Im Falle des §. 10 Nr. 1 ist nach Ablauf von fünf
Jahren, von dem Tage der über die Ertheilung des Patents
erfolgten Bekanntmachung (§. 27 Absatz 1) gerechnet, der
Antrag unstatthaft.
Der Antrag ist schriftlich an das Patentamt zu richten
und hat die Thatsachen anzugeben, auf welche er gestützt
wird. Mit dem Antrage ist eine Gebühr von fünfzig Mark
zu zahlen. Erfolgt die Zahlung nicht, so gilt der Antrag
als nicht gestellt. Die Gebühr wird erstattet, wenn das
Verfahren ohne Anhörung der Betheiligten beendet wird.
Wohnt der Antragsteller im Auslande, so hat er dem Gegner
auf dessen Verlangen Sicherheit wegen der Kosten des
Verfahrens zu leisten. Die Höhe der Sicherheit wird von
dem Patentamt nach freiem Ermessen festgesetzt. Dem
Antragsteller wird bei Anordnung der Sicherheitsleistung
eine Frist bestimmt, binnen welcher die Sicherheit zu
leisten ist. Erfolgt die Sicherheitsleistung nicht vor
Ablauf der Frist, so gilt der Antrag als zurückgenommen.
§. 29.
Nachdem die Einleitung des Verfahrens verfügt ist,
fordert das Patentamt den Patentinhaber unter Mittheilung
des Antrages auf, sich über denselben innerhalb eines
Monats zu erklären.
Erklärt der Patentinhaber binnen der Frist sich nicht,
so kann ohne Ladung und Anhörung der Betheiligten sofort
nach dem Antrage entschieden und bei dieser Entscheidung
jede von dem Antragsteller behauptete Thatsache für
erwiesen angenommen werden.
§. 30.
Widerspricht der Patentinhaber rechtzeitig, oder wird im
Falle des §. 29 Absatz 2 nicht sofort nach dem Antrage
entschieden, so trifft das Patentamt, und zwar im
ersteren Falle unter Mittheilung des Widerspruchs an den
Antragsteller, die zur Aufklärung der Sache
erforderlichen Verfügungen. Es kann die Vernehmung von
Zeugen und Sachverständigen anordnen. Auf dieselben
finden die Vorschriften der Civilprozeßordnung
entsprechende Anwendung. Die Beweisverhandlungen sind
unter Zuziehung eines beeidigten Protokollführers
aufzunehmen.
Die Entscheidung erfolgt nach Ladung und Anhörung der
Betheiligten.
Wird die Zurücknahme des Patentes auf Grund des §. 11
Nr. 2 beantragt, so muß der diesem Antrage
entsprechenden Entscheidung eine Androhung der
Zurücknahme unter Angabe von Gründen und unter
Festsetzung einer angemessenen Frist vorausgehen.
§. 31.
In der Entscheidung (§§. 29, 30) hat das Patentamt nach
freiem Ermessen zu bestimmen, zu welchem Antheile die
Kosten des Verfahrens den Betheiligten zur Last fallen.
§. 32.
Die Gerichte sind verpflichtet, dem Patentamt
Rechtshülfe zu leisten. Die Festsetzung einer Strafe
gegen Zeugen und Sachverständige, welche nicht
erscheinen oder ihre Aussage oder deren Beeidigung
verweigern, sowie die Vorführung eines nicht
erschienenen Zeugen erfolgt auf Ersuchen durch die
Gerichte.
§. 33.
Gegen die Entscheidung des Patentamts (§§. 29, 30) ist
die Berufung zulässig. Die Berufung geht an das
Reichsgericht. Sie ist binnen sechs Wochen nach der
Zustellung bei dem Patentamte schriftlich anzumelden und
zu begründen.
Durch das Urtheil des Gerichtshofes ist nach Maßgabe des
§. 31 auch über die Kosten des Verfahrens zu bestimmen.
Im übrigen wird das Verfahren vor dem Gerichtshofe durch
ein Regulativ bestimmt, welches von dem Gerichtshofe zu
entwerfen ist und durch Kaiserliche Verordnung unter
Zustimmung des Bundesraths festgestellt wird.
§. 34.
In Betreff der Geschäftssprache vor dem Patentamt finden
die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes über
die Gerichtssprache entsprechende Anwendung. Eingaben,
welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden
nicht berücksichtigt.
Vierter Abschnitt.
Strafen und Entschädigung.
§. 35.
Wer wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit den
Bestimmungen der §§. 4 und 5 zuwider eine Erfindung in
Benutzung nimmt, ist dem Verletzten zur Entschädigung
verpflichtet.
Handelt es sich um eine Erfindung, welche ein Verfahren
zur Herstellung eines neuen Stoffes zum Gegenstand hat,
so gilt bis zum Beweise des Gegentheils jeder Stoff von
gleicher Beschaffenheit als nach dem patentirten
Verfahren hergestellt.
§. 36.
Wer wissentlich den Bestimmungen der §§. 4 und 5
zuwider eine Erfindung in Benutzung nimmt, wird mit
Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit Gefängniß
bis zu einem Jahre bestraft.
Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die
Zurücknahme des Antrags ist zulässig.
Wird auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten
die Befugniß zuzusprechen, die Verurtheilung auf Kosten
des Verurtheilten öffentlich bekannt zu machen. Die Art
der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben ist im
Urtheil zu bestimmen.
§. 37.
Statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden
Entschädigung kann auf Verlangen des Beschädigten neben
der Strafe auf eine an ihn zu erlegende Buße bis zum
Betrage von zehntausend Mark erkannt werden. Für diese
Buße haften die zu derselben Verurtheilten als
Gesammtschuldner.
Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines
weiteren Entschädigungsanspruchs aus.
§. 38.
In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch
Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der
Bestimmungen dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird
die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne
des §. 8 des Einführungsgesetzes zum
Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichsgericht zugewiesen.
§. 39.
Die Klagen wegen Verletzung des Patentrechts verjähren
rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begründenden
Handlung in drei Jahren.
§. 40.
Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark wird bestraft:
1. wer Gegenstände oder deren Verpackung mit einer
Bezeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrthum zu
erregen, daß die Gegenstände durch ein Patent nach
Maßgabe dieses Gesetzes geschützt seien;
2. wer in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern,
auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen
eine Bezeichnung anwendet, welche geeignet ist, den
Irrthum zu erregen, daß die darin erwähnten
Gegenstände durch ein Patent nach Maßgabe dieses
Gesetzes geschützt seien.
Artikel II.
Die Bestimmung im §. 28 Absatz 3 des
Artikels I findet auf die zur Zeit bestehenden Patente
mit der Maßgabe Anwendung, daß der Antrag mindestens
bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Tage des
Inkrafttretens dieses Gesetzes statthaft ist.
Artikel III.
Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Oktober
1891 in Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen
Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Kiel, den 7. April 1891.
(L.S.) Wilhelm.
von Boetticher.
(L.S.) bedeutet "loco sigilli",
an Stelle des Siegels.
Wilhelm II., von 1888 bis 1918 deutscher Kaiser und
König von Preußen. Enkel von Wilhelm I., der das
Patentgesetz 1877 unterschrieben hat.
Von Boetticher ist wahrscheinlich Karl Heinrich von
Boetticher, ab 1881 Generalstellvertreter des Kanzlers.
Quelle: Reichsgesetzblatt 1891, No. 12,
Seite 79 - 90
In der Rechtschreibung von 1891
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