Sechste Verordnung zum
Reichsbürgergesetz*
vom 31. Oktober 1938
*) Betrifft nicht die sudetendeutschen
Gebiete
Auf Grund des § 3 des
Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935
(Reichsgesetzbl. I S. 1146) wird folgendes verordnet:
§1
(1) Juden ist der Beruf des Patentanwalts verschlossen.
(2) Jüdische Patentanwälte, die zur Zeit noch in der
beim Reichspatentamt geführten Liste oder in dem beim
Reichspatentamt, Zweigstelle Österreich, geführten
Register eingetragen sind, werden mit Wirkung auf den 30.
November 1938 gelöscht.
§2
Ist ein jüdischer Patentanwalt am Tage der Verkündung
dieser Verordnung in einem beim Reichspatentamt
anhängigen Verfahren, in einem beim Reichsgericht
anhängigen Berufungsverfahren oder nach § 16 Abs. 1 des
Patentgesetzes, § 20 des Gebrauchsmustergesetzes, § 35
Abs. 2 des Warenzeichengestzes, §§ 7, 58 Abs. 1, § 67
Abs. 2 des österreichischen Patentgesetzes oder § 32a
des österreichischen Marken- schutzgesetzes als
Vertreter gemeldet, so kann er die Vertretung noch bis
zum 31. Dezember 1938 fortführen.
§3
(1) Dienstverträge, die ein nach dieser Verordnung aus
der Patentanwaltschaft ausscheidender Jude als
Dienstberechtigter geschlossen hat, können von beiden
Teilen unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum
28. Februar 1939 auch dann gekündigt werden, wenn
gesetzlich oder vertraglich eine längere Frist bestimmt
oder das Diesnstverhältnis für bestimmte Zeit
eingegangen war.
(2) Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen über eine
kürzere als die im Abs. 1 vorgesehene Kündigungsfrist
bleiben unberührt.
§ 4.
(1) Wer auf Grund dieser Verordnung aus der
Patentanwaltschaft ausscheidet, kann ein Mietverhältnis
über Räume, die er für sich oder seine Familie
gemietet hat, trotz entgegenstehender Vereinbarungen
über die Dauer des Mietvertrages oder die
Kündigungsfrist mit Einhaltung der gesetzlichen
Kündigungsfrist zu dem ersten Termin kündigen, zu dem
die Kündigung nach dem 30. November 1938 zulässig ist.
(2) Angestellte (Dienstnehmer) eines Patentanwalts, die
durch sein Ausscheiden auf Grund dieser Verordnung
stellungslos werden, können ein Mietverhältnis über
Räume, die sie für sich oder ihre Familie gemietet
haben, trotz entgegenstehender Vereinbarungen über die
Dauer des Mietvertrages oder die Kündigungsfrist mit
Einhaltung einer Frist von vier Wochen zum Monatsende
kündigen. Die Kündigung kann nur zu dem ersten Termin
erfolgen, zu dem sie nach Beendigung des
Dienstverhältnisses zulässig ist.
(3) Im übrigen gelten für die Kündigung
a) im alten Reichsgebiet die Vorschriften des § 6 des
Gesetzes über die Zulassung zur Patentanwaltschaft vom
22. April 1933 (Reichsgesetzbl. I. S. 217),
b) im Lande Österreich die Vorschriften des § 13 der
Verordnung zur Neuordnung des österreichischen
Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 (RGBl. I. S. 607)
sinngemäß.
§ 5.
Am 1. Dezember 1938 anhängige hrengerichtliche und
Disziplinarverfahren gegen jüdische Patentanwälte sind
einzustellen. Die Kosten sind dem Beschuldigten
aufzuerlegen, wenn nach dem Ergebnis der bisherigen
Untersuchung die Verhängung einer ehrengerichtlichen
Strafe gerechtfertigt gewesen wäre. Die
Kostenentscheidung allein kann nicht angefochten werden.
§ 6.
Die vorstehenden Bestimmungen gelten sinngemäß
1. für die in das Ziviltechnikerregister des
Reichspatentamts, Zweigstelle Österreich, eingetragenen
jüdischen Ziviltechniker,
2. für die jüdischen Inhaber eines Erlaubnisscheins
nach den §§ 56 und 58 des Patentanwaltsgesetzes vom 28.
September 1933,
3. für Juden, die auf Grund des § 60 des
Patentanwaltsgesetzes vom 28. September 1933 tätig sind.
§ 7.
(1) Den auf Grund dieser Verordnung aus der
Patentanwaltschaft ausgeschiedenen Juden können, soweit
sie Frontkämpfer sind, aus Mitteln der
Patentanwaltschaftskammer bei Bedürftigkeit und
Würdigkeit jederzeit widerrufliche Unterhaltszuschüsse
gewährt werden. Nach Maßgabe der verfügbaren Mittel
können unter den gleichen Voraussetzungen auch anderen
auf Grund dieser Verordnung aus der Patentanwaltschaft
ausgeschiedenen Juden, soweit sie seit dem 1. August 1914
in der Patentanwaltschaftsliste oder dem
Patentanwaltschaftsregister eingetragen waren,
Unterhaltszuschüsse dieser Art gewährt werden.
(2) Nähere Bestimmungen trifft der Reichsminister der
Justiz im Einvernehmen mit dem Reichminister der
Finanzen.
§ 8.
(1) Frontkämpfer im Sinne dieser Verordnung ist, wer
im Weltkrieg (in der Zeit vom 1. August 1914 bis 31.
Dezember 1918) auf Seiten des Deutschen Reichs oder
seiner Verbündeten bei der fechtenden Truppe an einer
Schlacht, einem Gefecht, einem Stellungskampf oder einer
Belagerung teilgenommen hat. Es genügt nicht, wenn sich
jemand ohne vor den Feind gekommen zu sein, während des
Krieges aus dienstlichem Anlaß im Kriegsgebiet
aufgehalten hat.
(2) Der Teilnahme an den Kämpfen des Weltkriegs steht
die Teilnahme an den Kämpfen gleich, die nach ihm im
Baltikum, ferner gegen die Feinde der nationalen Erhebung
und zur Erhaltung deutschen Bodens geführt worden sind.
§ 9.
Wer durch eine auf Grund dieser Verordnung getroffenen
Maßnahme verhindert worden ist, eine Frist einzuhalten,
ist nach Maßgabe des § 43 des Patentgesetzes und des
österreichischen Gesetzen BGBl. Nr. 56/1924 auf Antrag
wieder in den vorigen Stand einzusetzen.
§ 10.
Wird durch eine auf Grund dieser Verordnung oder der
Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27.
September 1938 (Reichsgesetzbl. I. S. 1403) getroffene
Maßnahme ein Wechsel des Vertreters
(§ 16 Abs. 1 des Patentgesetzes, § 20 des
Gebrauchsmustergesetzes, § 35 Abs. 2 des
Warenzeichengesetzes) notwendig, so wird für die
Eintragung des Vertreterwechsels in der Patentrolle, der
Gebrauchsmusterkontrolle und der Warenzeichenrolle eine
Gebühr nicht erhoben.
§ 11.
(1) Jüdische Konsulenten (§ 8 der Fünften
Verordnung zum Reichsbürgergesetz) dürfen nicht als
Vertreter nach § 16 des Patentgesetzes, § 20 des
Gebrauchsmustergesetzes, § 35 Abs. 2 des
Warenzeichengesetzes, §§ 7, 58 Abs. 1, § 67 Abs. 2 des
österreichischen Patentgesetzes oder § 32a des
österreichischen Markenschutzgesetzes bestellt werden.
(2) Das Verbot des § 9 Abs. 2 des Patentanwaltsgesetzes
vom 28. September 1933 gilt auch für jüdische
Konsulenten. Es erstreckt sich jedoch nicht auf die
Vertretung in Verfahren vor den ordentlichen Gerichten;
insoweit gelten ausschließlich die Vorschriften der
Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz.
§ 12.
Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, die zur
Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu
erlassen.
Berchtesgaden,
den 31. Oktober 1938.
Der Führer und
Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichsminister der
Justiz
Dr. Gürtner
Der Reichsminister des
Innern
Frick
Der Stellvertreter des
Führers
R. Heß
Der Reichsminister der
Finanzen
Graf Schwerin von Krosigk
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Diese sechste Verordnung ist im
"Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen"
Nr. 11, 30. November 1938, Seite 230 - 231 abgedruckt.
Und schon im nächsten Heft, Nr. 12, vom 29. Dezember
sind in der Rubrik "Patentanwaltswesen - Liste der
Patentanwälte" die Personen aufgeführt, die
aufgrund dieser Verordnung aus der Liste gelöscht
wurden. Wobei seinerzeit aus einem Löschen auch ein
Auslöschen werden konnte.
Insgesamt gab es 13 Verordnungen zum
Reichsbürgergesetz.
Das Reichsbürgergesetz selbst wurde am 15. September
1935 verabschiedet. Von den Alliierten wurde der ganze
Mist durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September
1945 aufgehoben.
Das Patentanwaltsgesetz vom 28. September 1933
hingegen wurde mit kleinen Änderungen beibehalten, da es
in seinen Grundzügen auf Vorarbeiten aus der Zeit vor
1933 beruhte. Der Wirtschaftsrat erließ hierzu am 2.
Juli 1949 das "Zweite Gesetz zur Änderung und
Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des
gewerblichen Rechtsschutzes".(1)
Darin wird im § 3 Absatz 3 auch auf die 1938 aus der
Liste gelöschten Patentanwälte Bezug genommen:
"Patentanwälte, die in der beim Reichspatentamt
geführten Liste eingetragen waren und die aus
politischen, rassischen oder religiösen Gründen auf
eigenen Antrag oder von Amts wegen in dieser Liste
gelöscht worden sind, sind vom Nachweis der in § 2 Abs.
1 des Patentanwaltsgesetzes geforderten Voraussetzung
befreit."
In dem § 2 Abs. 1 geht es um den
Nachweis der erforderlichen Rechtskenntnisse. Jüdische
Patentanwälte, die 1938 Berufsverbot bekamen, brauchten
also nicht "nochmals den Nachweis der
Voraussetzungen für die Ausübung des
Patentanwatlsberufes zu führen" wie es in der
Amtlichen Begründung zum zweiten Überleitungsgestz
heißt. (2)
Na, wenn das nicht großzügig war. (Das meine ich
ironisch) Um wieder in die neue Liste eingetragen zu
werden waren dann noch drei Bescheinigungen nötig: (3)
A) eine Bescheinigung des Patentamtes in Berlin, dass der
Antragsteller seinerzeit in die Liste eingetragen und aus
dieser wegen politischen, rassischen oder religiösen
Gründen gelöscht wurde.
B) eine Bescheinigung der zuständigen Stelle für
Wiedergutmachung, dass der Antragsteller als rassisch,
politisch oder religiös Verfolgter anerkannt ist.
C) eine Bescheinigung der Ortspolizeibehörde, dass der
Antragsteller seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat.
Einige der weiter oben genannten
Patentanwälte sind dann auch tatsächlich in der neuen
Patentanwalts Liste (4) im
Jahr 1949 vermerkt:
Dr. Ing. Bruno Bloch, Dr. tech. Dipl. Ing. Oskar Kron,
Dr. Paul Lewino, Dr. Albert Marck.
Im übrigen bin ich mir nicht sicher, ob
alle jüdischen Patentanwälte das Inkrafttreten der "Sechsten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz" 1938 abwarteten. Denn es gibt
vor November 1938 öfters Eintragungen wie z.B.
diese:
Liste der Patentanwälte, Löschungen, "Selmar
Reitzenbaum, früher in Berlin, Saarlandstr. 14 (gemäß
§ 6 Ziff. 3 PAG). (5)
Laut diesem § 6, Ziff. 3 Patentanwaltsgesetz wurde die
Eintragung als Patentanwalt vom Reichspatentamt
gelöscht, wenn der Eingetragene im Inland keinen
Wohnsitz hatte. Es könnte also sein, dass es Herrn
Reitzenbaum gelang, Deutschland zu verlassen.
Oder dieser Vermerk vom Juni 1938:
Liste der Patentanwälte, Löschungen, Dr. Ing. Richard
David, Berlin, Wilhelmstraße 131/132 (verschollen). (6) Kann es sein, dass Dr. Ing.
David es vorgezogen hat, sich bei den Behörden nicht
abzumelden und daher als verschollen galt? (Das erinnert
mich an das Deutsche Patent Nr. 590783 von Einstein /
Goldschmidt, wo es auf der Titelseite heißt, "Dr.
Albert Einstein, früher in Berlin, jetziger Wohnsitz
unbekannt". Der Nobelpreisträger kehrte ja von
einer USA Reise 1932 nicht mehr nach Deutschland
zurück.)
In diesem Zusammenhang vielleicht
interessant wie sich das Nazi-Regime und die Entrechtung
der Juden seit 1933 auf Patentanmeldungen aus dem Ausland
auswirkte. Hier Auszüge aus einer Statistik aus dem
"Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen",
1939, Nr. 3, Seite 34. (Insgesamt sind dort Angaben für
17 Länder)
Patentanmeldungen im Deutschen Reich
aus dem Ausland
Jahr
|
Vereinigte
Staaten von Amerika |
Großbritannien |
Frankreich |
zum
Vergleich Deutsches Reich |
1921 |
2035 |
1225 |
1939 |
46001 |
1922 |
1752 |
1165 |
2016 |
40877 |
1923 |
1249 |
967 |
1763 |
36082 |
1924 |
1405 |
1006 |
1693 |
47478 |
1925 |
1901 |
1157 |
1775 |
54402 |
1926 |
2064 |
1202 |
1784 |
53225 |
1927 |
2197 |
1405 |
2123 |
55630 |
1928 |
2563 |
1694 |
2370 |
56695 |
1929 |
2992 |
1860 |
2488 |
57522 |
1930 |
2961 |
1800 |
2483 |
62651 |
1931 |
2556 |
1577 |
2344 |
58461 |
1932 |
1930 |
1208 |
2051 |
51515 |
1933 |
1888 |
1154 |
1891 |
44981 |
1934 |
1695 |
1130 |
1655 |
43114 |
1935 |
1649 |
1138 |
1414 |
44680 |
1936 |
1848 |
1103 |
1329 |
47363 |
1937 |
1994 |
1030 |
1165 |
48510 |
1938 |
1957 |
939 |
894 |
48241 |
(1) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1949, Heft
11, Seite 256, 257
(2) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1949, Heft
11, Seite 259
(3) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1949, Heft
12, Seite 288
(4) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1949, Heft
14, Seite 335, 358
(5) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1938, Nr.
7/8, Seite 172
(6) "Blatt
für Patent-, Muster- und Zeichenwesen", 1938, Nr.
6, Seite 156
http://alex.onb.ac.at/gesetze_drab_fs.htm
Ein Link zum Reichsgesetzblatt
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