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Das Patentgesetz von 1877

Im "Organ für den deutschen Handels- und Fabrikantenstand" (1), 1819, Seite 27 heißt es: Die Erfindungspatente sind in England ein vorzügliches Beförderungsmittel des Nationalkunstfleißes.
In verschiedenen Artikeln des "Polytechnischen Journal" in den 1820ger Jahren hingegen wurde dem englischen System ein erbärmliches Zeugnis ausgestellt:
Denn das englische Patentsystem war längst zu einem Privilegienwesen übelster Sorte verkommen, bei dem gegen Zahlung der Patenttaxe nahezu alles (Bekannte) patentiert werden konnte.
(2)

Der schottische Erfinder und Maschinenbauer James Watt konnte Gegnern als auch Befürwortern eines Patentschutzes als Beispiel dienen.
Nachteilig z. B. für den Erfinder Watt war ein Patent von James Pickard, welches die Verwendung der Kurbelbewegung schützte. Um dieses Patent zu umgehen, musste Watt eine umständliche Planetenradkonstruktion für seine Dampfmaschine ersinnen.
Nachteilig für die Volkswirtschaft war der große Schutzbereich von Watts Patenten. Obwohl er sein erstes Patent schon 1769 anmeldete, hatten Watt und sein Partner Boulton durch die Vielzahl der mitgeschützten Varianten zuletzt eine Monopolstellung der englischen Dampfmaschinentechnologie bis zum Jahr 1800. Nach Ansicht von Technikhistorikern einer der wenigen Fälle, wo Patente den technischen Fortschritt behinderten.
Von Vorteil war der Patentschutz für Watt, um die während der langen Entwicklungszeit entstandenen Schulden und Unkosten abzutragen. Denn von seinem ersten Patent 1769 bis zur Produktionsreife verging eine lange Zeit. Im Jahr 1773 ging sein Partner und Geldgeber in Konkurs. In Matthew Boulton fand er einen neuen Geldgeber. Boulton gelang es, beim Parlament die Verlängerung der Schutzdauer des Patents von 1769 zu erreichen. Durch den "Fire Engine Act" von 1775 wurde die Laufzeit bis zum Jahr 1800 verlängert. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurden die Dampfmaschinen an die Bergwerke in Cornwall geliefert. Erst danach begann das Unternehmen Watt & Boulton zu florieren. Dieses Beispiel zeigt, dass man durchaus verschiedener Ansicht sein kann, was den Nutzen des Patentschutzes angeht.

Das preußische Handelsministerium führte im Juli 1853 unter Handelskammern und Bezirksregierungen eine Umfrage durch: Von 47 Berichten, die hierauf eingingen, sprachen sich 37 für die Entbehrlichkeit des Patentschutzes aus.

In Alexisbad im Harz gründeten 23 Ingenieure am 12. Mai 1856 den Verein deutscher Ingenieure. Über die Reform des Erfindungsschutzes wurde bereits auf der Hauptversammlung des VDI 1858 in Köln gesprochen. Es wurde aber noch kein Antrag verabschiedet. Ebenfalls 1858 gründeten die deutschen Freihändler die "Volkswirtschaftliche Gesellschaft". Den Vorsitz hatte John Prince-Smith, Abgeordneter zuerst im preußischen Abgeordnetenhaus, dann im Reichstag. Die Freihandelsbewegung hatte zu jener Zeit eine große Zahl von Anhängern unter den Wirtschaftspolitikern und in der preußischen Ministerialbürokratie. Patente wurden von ihnen als Hemmschuh für die zu fördernde Gewerbetätigkeit gesehen.

1860 veröffentlichte der Düsseldorfer Ingenieur Philippson(3) eine Denkschrift, Die Reform der Patentgesetzgebung, bearbeitet im Auftrage des Handels- und Gewerbevereines für Rheinland und Westphalen.1861 wurde auf der Hauptversammlung des VDI der Antrag angenommen, die Hauptversammlung solle sich für ein zweckmäßiges Patentgesetz in ganz Deutschland möglichst bald einsetzen.(4)

Im Jahr 1863 erklärte John Prince-Smith auf dem Congress Deutscher Volkswirthe: die Erteilung eines Patentes ist die Errichtung eines Monopols durch Gesetzeszwang(5). Im gleichen Jahr wurde vom preußischen Handelsministerium erneut, wie schon 1853, eine Umfrage durchgeführt. 31 der befragten Handelskammern und Bezirksregierungen sprachen sich für die Aufhebung des Patentschutzes aus. 12 stimmten für die Einführung von staatlichen Belohnungen für besonders wichtige Erfindungen. 16 Handelskammern wollten das preußische Erteilungssystem beibehalten, wenn auch nur mit durchgreifenden Reformen. Zugunsten der Erfindungspatente verfasste Dr. Werner Siemens eine Denkschrift im Namen des "Aeltesten-Collegiums der Berliner Kaufmannschaft".
Wie wichtig ihm sein Anliegen war, zeigt eine Passage aus einem Brief, den Siemens im Oktober 1863 an seinen Bruder Karl schrieb:
(6)Ich habe einen großen Kampf begonnen gegen die ganze Freihandelsmeute, welche die Patentgesetzgebung in der Welt beseitigen will. Die hiesige Regierung stand schon auf dem Punkte, darauf einzugehen und wollte nur noch die Zustimmung der Handelskammern haben...Ich denke, ich werde nun Verbündete bekommen, die das Maul aufzutun wagen, und wir werden die Stimmung noch rechtzeitig umkehren. Auf viele giftige Angriffe muß ich mich freilich gefaßt machen...

Der VDI veröffentlichte ausführliche Abhandlungen und sandte seine Broschüre "Zur Patentfrage" Ende 1864 an Handelskammern und deutsche Regierungen.
Im Dezember 1868 brachte Bismarck beim Reichstag des Norddeutschen Bundes einen Antrag ein, worin die Abschaffung der Patentgesetze gefordert wurde. Es sei vielleicht vorteilhafter, die Patentgesetze im ganzen Bundesgebiet aufzuheben, statt von neuem zu hoffnungslosen Versuchen zu schreiten, sie zu revidieren.
(7)
Wie viel verschiedene Patentgesetze gab es damals? Waren es 29 wie manche schreiben (8)?
"Ich möchte an dieser Stelle einem Irrtum entgegentreten, ...daß in Deutschland über 20 verschiedene Patentgesetze bestanden haben sollen" schreibt Alfred Müller
(9) bereits im Jahre 1898.
Nur
Preußen, Bayern, Württemberg, das Königreich Sachsen, Hannover und das Großherzogtum Hessen hatten lt. Müller gesetzliche Regelungen des Erfindungsschutzes.

Die Weltausstellung von 1873 fand in Wien statt. Es wurden Befürchtungen laut, die ausgestellten Erzeugnisse seien nicht hinreichend gegen Nachahmung geschützt. Besonders die amerikanischen Aussteller machten für ihre Teilnahme einen wirkungsvollen Erfindungsschutz zur Voraussetzung. Die Einwände richteten sich nicht nur gegen die österreichischen, sondern auch die deutschen Verhältnisse.
Die österreichische Regierung erließ deshalb gesetzliche Bestimmungen, die einen Rechtsschutz für ausgestellte Erfindungen für die Dauer des Jahres 1873 gewährten.
Um die aktuelle Problematik des Erfindungsschutzes vor einem internationalen Forum zu diskutieren, wurde zu einem Patentcongress eingeladen. Er tagte vom 4. bis 9. August im Pavillon der internationalen Jury auf dem Ausstellungsgelände. 12 Regierungen entsandten offizielle Beobachter.
(10) Drei Resolutionen und eine Schlussresolution wurden gefasst. Hier nur die Erste: Der Schutz der Erfindungen ist in den Gesetzgebungen aller zivilisierten Nationen zu gewährleisten. Es folgten sieben Begründungen.(10a)

Ein Jahr darauf, 1874, wurde in Berlin der Patentschutzverein gegründet. Vorsitzender wurde Dr. Werner Siemens. Der VDI unter Vorsitz von Carl Pieper trat dem Verein als Mitglied bei.
Zwischen Siemens und Carl Pieper kam es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten: Herr Pieper scheint jetzt ganz reif fürs Irrenhaus zu sein... und ich hatte als Vorsitzender Mühe, die Bestie im Zaum zu halten.
(11) Aus einem Brief von Werner Siemens an seinen Bruder Karl vom März 1875.
Der Dresdner Ingenieur Pieper vertrat nachdrücklich die Interessen der Einzelerfinder, Siemens setzte sich für die Wünsche der Industrie ein. Unter den 30 Mitgliedern des Vorstandes des Patentschutzvereins waren 10 Fabrikbesitzer, 6 Professoren und 3 Juristen, als Ingenieur war niemand bezeichnet.
1876 veröffentlichte der Verein einen Entwurf für ein Patentgesetz. Er sah u. a. die Einführung des Lizenzzwangs, des Anmelderprinzips und steigende Patentgebühren vor. Techniker und Erfinder befürchteten, dadurch in die Abhängigkeit der Unternehmer als Kapitalgeber zu geraten. Carl Pieper und andere Ingenieure traten darauf aus dem Patentverein aus.

Deutsche Industrieprodukte galten damals als billige Nachahmungen ausländischer Qualitätswaren. Das belastete nicht nur den Export, sondern auch den inländischen Absatz. Deutsche Unternehmer versahen ihre Waren sogar manchmal mit englischen Fabrikzeichen um die Käufer zu täuschen. Denn erst 1887 wurde in Großbritannien das Made in... eingeführt. Aber das nur nebenbei.
Der Rückstand der deutschen Industrie zeigte sich auch auf den Weltausstellungen, z.B. 1876 in Philadelphia. Als "billig und schlecht" bezeichnete der deutsche Reichskommissar Reulaux auf der Weltausstellung deutsche Produkte. Der Patentschutz wurde nun allmählich als Mittel angesehen, den technologischen Fortschritt zu fördern.
Unter anderem schrieb Werner Siemens, 1876 in einer Denkschrift, betreffend die Notwendigkeit eines Patentgesetzes für das Deutsche Reich: Der (Patentschutz) Verein hat sich die Herbeiführung eines guten Reichspatentgesetzes zur besonderen Aufgabe gestellt, ..weil er in demselben einen der wesentlichsten Faktoren erkennt, um die deutsche Industrie, die hinter der Industrie anderer Länder weit zurückgeblieben ist, dieser ebenbürtig zu machen und dadurch ihre Exportfähigkeit wiederherzustellen...
(12)

Offenbar machten solche Gedanken auch auf die preußische Ministerialbürokratie Eindruck. Ein Patentschutzbefürworter, Leonard Jacobi wurde 1874 Leiter der Technischen Deputation, die für die Patenterteilung in Preußen zuständig war. (Jacobi war auch von 1877-1881 der 1. Vorsitzende des kaiserlichen Patentamts. Den Titel "Präsident" gab es erst ab 1882) (13)
Aber auch durch die Wirtschaftskrise ab 1873 kam es zu einem Umschwung in der Wirtschaftspolitik. Es fand eine Abkehr vom Liberalismus statt, die Freihandelsbewegung verlor an Boden. Im September 1876 berief das Reichskanzleramt eine Sachverständigen Kommission. Sie bejahte den Patentschutz, worauf das Reichskanzleramt noch im Jahr 1876 einen Gesetzentwurf erstellte, in welchem die Voraussetzungen für die Erteilung und Wirkungen eines Patents definiert wurden. In der dritten Lesung stimmten 138 Abgeordnete für die Vorlage, 90 sprachen sich dagegen aus. Am 25. Mai 1877 wurde das neue Reichspatentgesetz verkündet, am 01. Juli trat es in Kraft. (
Siehe auch den Wortlaut des Gesetzes)

Das Gesetz war unternehmerfreundlich, das Patent erhielt der Anmelder. Nach § 3 hatte auf die Erteilung des Patents derjenige Anspruch, der die Erfindung zuerst angemeldet hat. Das Wort "Erfinder" kommt im Text des Gesetzes nicht vor, es spricht vom "Patentsucher" (z. B. §§ 3, 21, 23) und vom "Patent-Inhaber" (z. B. §§ 4, 19). Erst im Gesetz von 1936 wurde das Erfinderprinzip eingeführt.
Der Erfinder konnte nur über ein besonderes Einspruchsrecht gegen einen anderen, meist seinen Arbeitgeber, vorgehen. Selbst, wenn er damit Erfolg hatte, bestand kein Anspruch auf eine Übertragung des Patents.

Die Schutzdauer betrug 15 Jahre, es mussten jährlich steigende Gebühren entrichtet werden. Die Gebühren waren nach § 8 für das erste Jahr 30 Mark, für das zweite 50 Mark, sie stiegen mit jedem Jahr um 50 Mark. Das 15. Jahr kostete also 700 Mark. Was war damals eine Mark? Zwischen 1873-1880 gab eine deutsche Arbeiterfamilie im Jahr 327,81 Mark für Lebensmittel aus. Im Bezirk Dortmund war der Durchschnittslohn pro Schicht im Steinkohlenbergbau im Jahr 1877 2,56 Mark. (14)
In dem Buch "Patentgesetzgebung und Erfinderschicksale" aus dem Jahr 1906 beklagt sich der Autor Arved Jürgensohn über die hohen deutschen Patentgebühren: " Wie viele können sich also da die hohen deutschen Gebühren leisten?" Und er weist darauf hin, dass die Gebühren in Deutschland 2,5-mal so hoch sind wie in England und 36-mal so hoch wie in den USA.
Im § 8 des Patentgesetzes heißt es aber auch: "Einem Patentinhaber, welcher seine Bedürftigkeit nachweist, können die Gebühren für das erste und zweite Jahr der Dauer des Patentes bis zum dritten Jahre gestundet und, wenn das Patent im dritten Jahre erlischt, erlassen werden."
Wer also mit seinem Patent nicht gleich gut verdiente, um sich damit die jährlich steigenden Gebühren leisten zu können oder genügend Kapital besaß, musste das Patent verfallen lassen, ab da durfte die Erfindung jeder verwerten.

Bis 1900 sank die Zahl der Einzelerfinderpatente gegenüber den Firmenpatenten erheblich. Nach §11 des Patentgesetzes konnte das Patent nach drei Jahren zurückgenommen werden, falls sich der Erfinder nicht bemühte, die Erfindung zur Ausführung zu bringen oder eine Lizenz zu vergeben, wenn die Sicherheit des Patents garantiert war und eine angemessene Vergütung bezahlt wurde.
Am 01. Juli 1877 nahm das kaiserliche Patentamt die Arbeit auf, bis Jahresende 1877 waren 3212 Patentgesuche eingegangen, davon bezweckten 640 Gesuche
(15) nur die Umwandlung von bereits bestehenden Landespatenten.
Wie viel Patente wurden erteilt? Beschlossen war im 2. Halbjahr 1877 die Erteilung von 552 Patenten, erteilt wurden aber nur 190, die restlichen Erteilungen wurden wohl erst im nächsten Jahr durchgeführt.
(Im 1. Halbjahr 1878 gab es 1662 Patenterteilungen, im 2. Halbjahr 1878 schon 2538
(15a).
Zu den ersten Patenten gehört auch Nr. 532 für einen Motor von Nikolaus August Otto.

Patent Nr. 1 erhielt Joh. Zeltner, in Firma: Nürnberger Ultramarinfabrik. Gegenstand seiner Anmeldung war ein Verfahren zur Herstellung einer rothen Ultramarinfarbe.
Was ist eine Ultramarinfarbe? Im Mittelalter wurde aus Lapislazuli oder Lasurstein nach einem aufwendigen Verfahren eine blaue Malerfarbe gewonnen, die so wertvoll war, dass sie mit Gold aufgewogen wurde. Den Namen Ultramarin erhielt die Farbe damals, weil der Rohstoff, der Lapis, von jenseits des Meeres kam (latein.: ultra marinus).
1828 haben fast gleichzeitig Guimet in Toulouse, C. G. Gmelin in Tübingen und Köttig in Meißen die künstliche Herstellung der Farbe erfunden. Dabei wurde das Ultramarin aus Kaolin, Schwefel, Soda, Quarz und Holzkohle synthetisiert, so wie es auch heute noch im wesentlichen gemacht wird. Die erste deutsche Ultramarin Fabrik gründete übrigens Karl Leverkus, daher der Name Leverkusen, Standort der chemischen Großindustrie. Johann Zeltner war wohl kein Freund vieler Worte, seine Erfindung wird im Patent Nr. 1 in drei Sätzen offenbart.
(16)
Ultramarinfarben dienen heute u. a. zum Färben von Kunststoffen, Papieren, Kosmetika (z. B. Lidschatten).
Sie werden bei der Herstellung von Künstler-, Lack-, Dispersions- und Druckfarben verwendet. Wegen der Ungiftigkeit auch im Lebensmittelbereich für Stempel- und Eierschalenfarben zugelassen.

Gelegentlich liest man, das erste deutsche Patent sei am 2. Juli 1877 erteilt worden, einen Tag nach Eröffnung des Patentamts,
nach dem Motto: Heute gebracht, Morgen gemacht.
Denn auf dem Patent Nr. 1 steht "Patentirt im Deutschen Reiche vom 2. Juli 1877 ab". Damit ist aber nicht der Tag der Erteilung gemeint, sondern der Tag, ab dem die Laufzeit des Patents, damals höchstens fünfzehn Jahre, gerechnet wird. "Der Lauf dieser Zeit beginnt mit dem auf die Anmeldung der Erfindung folgenden Tage" hieß es dazu im $ 7 des Patentgesetzes. Selbst das Patent mit der Nr. 3409 läuft ab diesem Tag, 2. Juli 1877, der nur aussagt, dass diese Patentanträge alle am 1. Juli 1877 eingereicht wurden. Über den Tag der Erteilung sagt dieses Datum nichts aus.
In der "Patentliste"
(17) wurde die Anmeldung von Patent Nr. 1 erst am 6. September 1877 mitgeteilt, und die Erteilung am 27. November 1877 bekannt gemacht.
Im Übrigen hat der Anmelder von Patent Nr. 1, Joh. Zeltner, damals noch ein Patent angemeldet, "Verfahren zur Herstellung von violetem Ultramarin", welches die Nr. 228 bekam und ebenfalls ab 2. Juli 1877 patentiert ist.

Die Patente von Joh. Zeltner, Nr. 1 und Nr. 228 waren in Patentklasse 22 (Farbstoffe) eingeteilt. Insgesamt gab es damals 89 Patentklassen. Von 1 (Aufbereitung von Erzen, Mineralien, Brennstoffen) bis 89 (Zucker- und Stärkefabrikation). Die Klassen umfassten manchmal ein weites Feld. So war die Luftschiffahrt in der Klasse 77 (Sport), zusammen mit Spiele, Turnerei, Schlittschuhe, Jagd und Fischerei.(18)

Das Patentamt bestand aus einem Vorsitzenden, 3 ständigen (rechtskundigen) und 18 nicht ständigen Mitgliedern, 4 Büreaubeamten, 2 Kanzleisekretäre und 3 Kanzleidienern.
(Außerdem gab es noch 2 technische Hülfsarbeiter und diätarisch beschäftigt 4 Büreabeamte und
3 Kanzleibeamte. Diätarisch beschäftigt bedeutete gegen Diäten beschäftigter, noch nicht etatsmäßig angestellter Beamter. Diese 9 Mitarbeiter werden in manchen Publikationen über damals nicht erwähnt.)
(19)

Die ständigen Mitglieder waren auf Lebenszeit oder für die Dauer ihres Hauptberufes berufen. Die nichtständigen Mitglieder für die Dauer von fünf Jahren. Sämtliche Mitglieder waren nur nebenberuflich tätig. Damit wollte man die Praxisnähe der Belegschaft sicherstellen. (Diese Regelung galt bis 1891.)
Gegen hauptamtliche Mitglieder sprach sich der kaiserlich Geheime Regierungsrath Nieberding in der Reichstagssitzung vom 01. Mai 1877 aus:
...diese Patentgesuche sind keineswegs derart, daß sie den Männern, die damit beschäftigt sind, viel Reiz bieten oder größere geistige Anregung gewähren können. Wenn wir ihre Tätigkeit durch die vorgeschlagene Einrichtung beschränken wollten, dann könnte sehr leicht die Gefahr entstehen, daß ein todter Formalismus, ein Geist der Schablone in das Patentamt einzieht, der den Geschäften und dem Ansehen desselben in keiner Weise förderlich ist...
(20)

Das Amt war in Berlin in der Wilhelmstr. 75 untergebracht und wurde ab 01. Mai 1879 in die Königgrätzerstr. 10 verlegt. 1891 wurde ein Neubau in der Luisenstr. bezogen. 1905 wurde wieder mal umgezogen, in die Gitschiner Straße. Nach der Legende wurde während des Umzuges sogar im Inneren der Möbelwagen weitergearbeitet. (21)

Den guten Ruf, den sich das deutsche Patentwesen erwarb, belegt ein Zitat aus dem amerikanischen Journal of the Patent Office Society, February 1949, Seite 84:
It can not be gainsaid that the German patent system was the finest in the world.

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Quellenangaben
Links und E-Mail


(1),(2) Dr. rer. nat. Hans Peter Münzenmayer, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1990, Heft 7/8, Seite 137-143
darin auf Seite 140 als Quelle genannt: Polytechnisches Journal Bd. 9, 1822, Seite 340; Bd.16, 1825, Seite 32; Bd. 21, 1826, Seite 274; Bd. 24, 1827 Seite 270; Bd. 25, 1827, Seite 170; Bd. 27, 1828, Seite 70
(Patentgesetzgebung allein reicht aber nicht aus, um in einem Staat die Entwicklung der Technik zu fördern. So hatte Argentinien bereits 1864 ein Patentgesetz. Trotzdem bestand seine Wirtschaft auch Anfang des 20.Jahrh. vorwiegend aus Ackerbau und Viehzucht. GRUR 1949, Seite 71ff.)

(3), Heggen, Die Bemühungen des "Vereins Deutscher Ingenieure" um die Reform des Erfindungsschutzes im Vorfeld des Reichspatentgesetzes von 1877, Technikgeschichte, 1973, Nr. 4, Seite 337-344

(4) Bluhm, Die Entstehung des ersten gesamtdeutschen Patentgesetzes, GRUR, 1952, Seite 341-346

(5) Heggen, Zur Vorgeschichte des Reichspatentgesetzes von 1877, GRUR, 1977, Heft 6, Seite 324

(6) Kurz, Die berühmtesten Patentprüfer - drei biografische Skizzen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1994, Heft 4/5, Seite112-123

(7) Nirk, 100 Jahre Patentschutz in Deutschland, Festschrift Hundert Jahre Patentamt, Seite 348

(8): siehe (4) und Güttich, Die Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes in Deutschland und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg, Dissertationsschrift, Freie Universität Berlin, 1995

(9) "Thatsache ist aber, daß nur die genannten sechs größeren deutschen Staaten sich eines besonderen Patentgesetzes erfreuten, während alle übrigen, und namentlich die kleineren und kleinen Staaten Privilegien nur dann zu erteilen pflegten, wenn die betreffende Erfindung bereits in einem großen Staate geschützt war. Die Normen, die dann in solchen Fällen zur Anwendung kamen, lehnten sich in der Regel an die Bestimmungen des Gesetzes eines dieser größeren Staaten an" aus Die Entwicklung des Erfindungsschutzes und seiner Gesetzgebung in Deutschland, Dr. Alfred Müller, München, 1898 Seite 8, 9

(10) Manegold, Der Wiener Patentschutzkongreß von 1873, Technikgeschichte, 1971, Nr. 2 Seite 158. Manegold schreibt zwar von 15 Regierungen, die offizielle Beobachter entsandten, aber im "Verzeichnis der Theilnehmer an dem internationalen Patent-Congresse" in : Der Erfinderschutz und die Reform der Patentgesetze - Amtlicher Bericht über den Internationalen Patent-Congress zur Erörterung der Frage des Patentschutzes, Carl Pieper, Dresden, 1873, Seite 263 - 267 habe ich nur 12 gezählt: Rumänien, Holland, Italien, Schweden, Preussen, Griechenland, Schweiz, Brasilien, Grossherzogtum Baden, USA, Württemberg, England
Allerdings werden in "Geschichte der internationalen Union für den Schutz des gewerblichen Eigentums sammt Konvention und Staatsverträgen, im Auftrage der "Deutschen Permanenz-Kommission" und des "Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums" herausgegeben von deren Geschäftsführern Carl Pieper und Paul Schmid, (ohne Jahr, aber ca. 1893)" Seite 16 auch zusätzlich noch Österreich-Ungarn, Hamburg, Bayern und Japan hinzugezählt, als offizielle oder offiziöse Teilnehmer.

(10a) siehe (10) in Geschichte der internationalen Union für den Schutz des gewerblichen Eigentums sammt Konvention ... Seite 16, 17

(11), (12): siehe (3)

(13) Eine Berliner Chronik des Patentamtes in Wort und Bild, Berlin 1995

(14) Löhne und Lebenskosten in Westeuropa im 19. Jahrhundert (Frankreich, England, Spanien, Belgien) nebst einem Anhang: Lebenskosten deutscher und westeuropäischer Arbeiter früher und jetzt, Dr. Carl von Tyszka, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 145 Band, Dritter Teil, 1914, Seite 263, 283 (Ein McKinsey Berater müsste sich bei diesen Arbeiterlöhnen am Ziel seiner Wünsche sehen)

(15) Patentblatt, 1878, Nr. 15, Seite 92-93
(15a) Patentblatt, 1879, Nr. 49, Seite 609-611 (Darin die Halbjahrstatistiken 1877, 1878)

(16) Das Verfahren zur Fabrikation dieses rothen Ultramarins ist folgendes: Ultramarinviolet wird, auf 130-150° Celsius erhitzt, der Einwirkung von Dämpfen einer mehr oder weniger concentrirten Salpetersäure ausgesetzt. Stark concentrirte Salpetersäure ergiebt eine bis zu lichtem Rosa aufsteigende Farbe; verdünntere Salpetersäure dagegen ein tieferes und dunkleres rothes Ultramarin.

Beim Stichwort Ultramarin denken Kunstliebhaber an den französischen Künstler Yves Klein (1928-1962). Er "machte gern Blau", er wurde u. a. durch seine einfarbigen Bilder in leuchtendem Blau berühmt. Klein sei hier erwähnt, weil es oft heißt, er hätte das von ihm verwendete IKB - International Klein Blue patentieren lassen. Er hat aber keinen Patentschutz für die Farbzusammensetzung, sondern 1960 die Urheberschaft seiner Idee durch einen "Enveloppe Soleau" beim franz. Patentamt registrieren lassen, Nr. 63471.
Der Enveloppe Soleau, auf deutsch etwa Soleau Umschlag, benannt nach seinem Erfinder, ist eine Besonderheit im französischen gewerblichen Rechtsschutz, die in Deutschland keine Entsprechung hat. Der Umschlag enthält die Beschreibung des Werkes, wird vom franz. Patentamt mit Datum versehen und aufbewahrt. Er dient nur dazu, sich das Entstehungsdatum einer Erfindung oder eines Werkes amtlich sichern zu lassen. Es ist also kein Patent.
Siehe auch Wikipedia und franz. Patentamt Eine modernere Form dieser Registrierung ist das "i-DEPOT" Verfahren des Benelux Office for Intellectual Property.
Yves Klein, das Multitalent, hatte aber tatsächlich ein franz. Patent - Brevet d'Invention eingereicht am 2. März 1960,
Nr. 1258418 nebst Zusatzpatent dazu 77637. Titel: Procédé de décoration ou d'intégration architecturale et produits obtenus par application dudit procédé.

(17) Patentliste 1877, Juli - Dezember, Seite 4, 68
Die Patentliste war eine Beilage zum vom Patentamt herausgegebenen Patentblatt.
(
Zeitschriftendatenbank ZDB-Idn. 501531-5)

Wer sich noch genauer für die Patente von Joh. Zeltner interessiert: Damals bekamen die Patentanmeldungen eine Nummer die nicht mit der späteren Patentnummer übereinstimmt und auch nicht auf dem Patent vermerkt ist, sondern nur in der Patentliste.
Zufällig war die Anmeldenummer 1 auch von Johann Zeltner, allerdings für ein "Verfahren zur Herstellung von violetem Ultramarin", die Anmeldung wurde in der Patentliste vom 20. September 1877, Seite 19, bekannt gemacht. Das Patent bekam dann später die Nummer 228. Zeltner hat dann 1878 noch ein Zusatzpatent zum Patent Nr. 1 erhalten, die Nr. 8327. "Verfahren zur Bereitung von Ultramarinroth aus Ultramarinviolet". Patente wurden damals nur in geringer Auflage gedruckt, bei großer Nachfrage wurde eine neue Auflage gedruckt, so auch im Jahr 1888 bei Patent Nr. 1. Siehe Patentblatt, Nr. 33, 15.08.1888, Seite 298.

(18) Patentblatt, 1877, Nr. 2 , Seite 14-16 (Hier werden alle Patentklassen aufgeführt)

(19) Patentblatt, 1878, Nr. 15, und Patentblatt 1880, Seite 213

(20) Das Patentamt von 1877-1977, in: Festschrift Hundert Jahre Patentamt,
Über die gute alte Zeit schreibt auch Erich Häusser in dem Sonderdruck aus "Lohn der Leistung und Rechtssicherheit, Festschrift für Albert Preu":
Da wird z. B von einem "Geheimen Regierungsrath" des Kaiserlichen Patentamts erzählt, der zu Beginn seiner Laufbahn von seinem Ausbilder eingeschärft bekam: "er müsse, ehe er patentiere, den Polizeigriff anwenden können, mit dem die oft unbelehrbaren Erfinder abgedrosselt werden müssen".
Und erst die Dienstauffassung der technischen Hilfsarbeiter, welche zur Prüfungstätigkeit im Anmeldeverfahren herangezogen wurden: "...Die technischen Hilfsarbeiter von damals, mit den späteren gar nicht zu vergleichen, waren eine außerordentlich bunt zusammengesetzte, verwegene Gesellschaft. Alles war unter ihnen vertreten, nur der Bürokrat nicht. So lernte ich denn da manche verwerfliche Anschauung kennen. Die läßlichste war noch die Nichtachtung des Dienstweges..." (So ein ehemaliger Hilfsarbeiter und späteres Mitglied des Patentamts, erwähnt in beiden Festschriften)

(21) Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1968, Heft 1, Seite 5-8

Historische Patentprozesse-Teil1, Peter Kurz, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1996, Heft 3, Seite 74, 75

Patentamt, Erfinder und Volkswirtschaft, Felix Wankel, in: Festschrift, Hundert Jahre Patentamt

Der Erfinder, von Dr. phil. Dr. jur. Hans Schade, GRUR 1977, Heft 6, Seite 390,

Wie es zu Deutschlands erstem Patent kam, Dr. Dieter R. Schneider, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1990, Heft 10, Seite 192,

Römpp, Lexikon Chemie, 10. Aufl., Band 6, Stichwort: Ultramarine, Seite 4733,

Text geändert: 27.12.2009